Pfarrer Norbert Filthaus: Mit Gott auf Schalke

Seit fünf Jahren betreut der evangelische Pfarrer Norbert Filthaus die Kapelle in den Katakomben der Veltins-Arena. Ein Besuch.

Gelsenkirchen. Wenn die Zeit knapp werden könnte, trägt Norbert Filthaus das Schalke-Trikot auch schonmal unter dem Talar, um nach einer Taufe schnell im passenden Outfit in der Arena zu sein. Die Kirche der Christus-Gemeinde Buer liegt gerade einmal einen Kilometer von der Spielstätte des Fußball-Traditionsclubs entfernt; alle zwei Wochen hat der Pfarrer damit ein Heimspiel.

Wer Seelsorger in Gelsenkirchen ist, der sollte Fußball-Fan sein, der muss Schalker sein. „Hier lebt jeder mit dem FC Schalke, das geht gar nicht anders“, sagt Filthaus. „Der ganze Rhythmus hängt mit dem Spielplan zusammen, schon wegen des Verkehrs, da ist bei Heimspielen ja alles dicht.“ Und während des Spiels „ist es in der Stadt still wie an Heiligabend“.

Erst recht, wenn der BVB, der Erzfeind aus Dortmund, in zwei Wochen kommt. In Duellen wie diesen wird das Gebot „Liebe deine Feinde“ auch bei Pfarrer Filthaus auf eine harte Probe gestellt. „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“, sagt er, lacht und verweist darauf, dass natürlich alle Begeisterung für den eigenen Club Grenzen hat. „Ich wünsche mir eine herzhafte Rivalität. Aber eine, die frei ist von Hass und Häme.“

Filthaus weiß, dass in seiner Gemeinde in den kommenden Wochen manche Kerze angezündet, manches Gebet gesprochen wird. Für den FC Schalke, für einen Heimsieg gegen Dortmund. Darf man Gott mit solchen Wünschen belästigen? Nimmt Gott gar Einfluss auf ein Spiel?

„Ich selbst lehne ein solch triviales Gottesbild ab“, erklärt Filthaus, ebenso wie den Begriff „Fußballgott“ und Rituale wie Kreuzzeichen vor dem Anpfiff. „Als evangelischer Pfarrer bin ich ohnehin sehr vorsichtig gegenüber allem, was auch nur im entferntesten ein magisches Eingreifen Gottes nahelegt.“ Beten, dass es dem eigenen Verein gut geht, das sei in Ordnung. Mehr aber auch nicht.

Wie aber passen Glaube und Fußball dann zusammen? „Gott hat uns dieses wunderschöne Spiel gegeben“, sagt Filthaus nach kurzer Pause. „Der Fußball bringt Menschen aus allen Schichten und Generationen zusammen.“ Sogar Parallelen zu einem Gottesdienst hat er ausgemacht:

„Ein Fußballmittag folgt einer präzisen Liturgie. Der Fan will immer dieselbe Reihenfolge, hängt daran teilweise wie eine Oma an einem bestimmten Kirchenlied.“ Mehr noch: „Zum Vereinslied steht man auf und singt es mit Inbrunst.“ Ein heiliges Mahl gebe es auch, es bestehe aus Veltins und Bratwurst.

Für viele Fans wird die Woche durch die Spiele strukturiert. Das, was früher im Dorf die Sonntagsgottesdienste sozial geleistet haben, leistet nun der Verein. „Als Fußballpfarrer wünschte ich mir natürlich, dass die richtige Geborgenheit vermehrt auch in der Gemeinde gesucht würde. Eine Konkurrenz muss man aber nicht sehen. Beides geht. Christ und Fan.“

Besonders auf Schalke, wo in den Katakomben der Arena, direkt gegenüber der Spielerumkleiden, die erste Kapelle in einem deutschen Stadion eingerichtet wurde. 300 Hochzeiten wurden hier an spielfreien Tagen schon gefeiert. Und tausend Taufen. „Das sind keine Spaßveranstaltungen“, stellt Filthaus klar.

Die Kapelle wurde bewusst nicht in Blau und Weiß gehalten, der Raum hat eine spirituelle Stimmung. „Die Taufe hat die gleiche Heiligkeit, als finde sie im Kölner Dom oder im Straßburger Münster statt“, sagt der Pfarrer, der sich stets zu Vorgesprächen mit den Eltern trifft und die ernsthafte Absicht der Gläubigen prüft.

Dann darf zum Auszug auch „Blau und Weiß, wie lieb’ ich Dich“, das Vereinslied der Knappen, gespielt werden. Obendrein bekommt der Nachwuchs einen S04-Stempel in die Taufurkunde. „Einmal hatte ich einen Großvater dabei“, erinnert sich Filthaus. „Er war Steuerfahnder und obendrein BVB-Fan, trug einen — wir sagen hier — Zeckenschal. Ich habe ihn die Taufkerze halten lassen und gesagt, dass dieser Mensch wohl der Erleuchtung bedürfe.“ So viel Spaß müsse sein.

Für Norbert Filthaus ist es die letzte Begegnung der Lokalrivalen S04 und BVB als aktiver Pfarrer: Nach der Hinrunde geht er in den Ruhestand. Seine Dauerkarte wird er auch als Pensionär behalten. Einmal Schalker, immer Schalker. Und trotz seiner ablehnenden Einstellung zum Gebet für einen bestimmten Spielausgang — dieser letzte Satz, mit einem herzhaften Lachen beendet, muss sein: „Ich bete nicht für Tore. Nur für Punkte.“