Pferdefleisch-Skandal weitet sich aus
Berlin (dpa) - In den Pferdefleisch-Skandal sind europaweit mehr Unternehmen verwickelt als bislang bekannt. Mühsam kommt Licht in das Netz aus Produzenten, Lieferanten und Händlern von Fertigprodukten, in denen möglicherweise nicht deklariertes Pferdefleisch verarbeitet wurde.
„Der Betrugsfall nimmt immer größere Dimensionen an. Hier wurde offenbar mit großer krimineller Energie gehandelt“, sagte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS). Politiker fordern schärfere Kontrollen und Strafen im Kampf gegen die Tricksereien mit Fleisch.
An diesem Montag wollen die Verbraucherminister aus Bund und Ländern über Konsequenzen aus dem Pferdefleisch-Skandal beraten. Dabei solle auch das weitere Vorgehen abgestimmt werden, teilten Aigner und ihre hessische Amtskollegin Lucia Puttrich (CDU) in Berlin mit. Zusätzlich zu einem EU-Aktionsplan wolle der Bund gemeinsam mit den Ländern ein nationales Kontrollprogramm mit zusätzlichen Tests aufstellen, kündigte Aigner in der FAS an. „Nur so können wir das tatsächliche Ausmaß dieses Skandals erfassen.“
Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Renate Künast, verlangte in der „Passauer Neuen Presse“, dass verarbeitetes Fleisch gekennzeichnet und die Aufzucht- und Mastbetriebe benannt werden müssen. Brandenburgs Ressortchefin Anita Tack (Linke) sagte an die Adresse Aigner, sie erwarte erste Vorschläge für eine Herkunftskennzeichnung von Fleisch auch in Fertiggerichten. „Diese sollte kurzfristig auf den Weg gebracht werden.“
Laut „Spiegel“ könnte eine Kennzeichnung für verarbeitete Produkte bereits existieren, hätte es nicht Widerstand auch der deutschen Politik dagegen gegeben. Nach der im November 2011 veröffentlichten europäischen Lebensmittelinformationsverordnung solle nicht nur bei Rindfleisch die Herkunftsangabe verpflichtend sein, sondern ab Dezember 2014 auch für Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch. Die Regelung gelte aber nicht, wenn das Fleisch nur eine von vielen Zutaten sei, wie bei Fertiggerichten.
„Wir haben damals sehr viel weitergehende Regelungen gefordert, wurden aber vor allem von konservativen und liberalen Abgeordneten aus Deutschland ausgebremst“, zitiert der „Spiegel“ den Grünen-Abgeordneten im Europa-Parlament, Martin Häusling.
Unterdessen suchen in Deutschland und anderen europäischen Ländern Kontrolleure weiter nach verdächtigen Lebensmitteln. Das am Freitag vom Discounter Lidl aus den Regalen entfernte Nudelgericht „Tortelloni Rindfleisch“ stammt entgegen erster Angaben österreichischer Behörden nicht aus Stuttgart. In der Alpenrepublik war zuvor ein nicht deklarierter Anteil Pferdefleisch in Ware mit dieser Bezeichnung gefunden worden. Wie ein Lidl-Sprecher auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa mitteilte, fertigt die Hilcona AG das Produkt in Schaan im Fürstentum Liechtenstein. „Die Rohware dafür stammt von Vossko aus Ostbevern (Nordrhein-Westfalen) oder dem Schweizer Hersteller Suttero aus Gossau“, sagte er.
Der münsterländische Hackfleisch-Hersteller Vossko überprüft nach eigenen Angaben seine Ware. „Wir beziehen das Fleisch von mehreren Lieferanten, wir haben alle Lieferanten angeschrieben und alle haben uns mitgeteilt, dass es keine Vermischung von Fleischsorten gibt“, sagte Vossko-Vertriebsleiter Josef Knappheide auf Anfrage. „Momentan laufen die Analysen, Ergebnisse liegen uns noch nicht vor.“
Hilcona stehe sowohl mit Vossko als auch mit Suttero „in engem Kontakt und setzt alles daran, den Sachverhalt lückenlos aufzuklären“, sagte Hilcona-Sprecher Mark Vogelgsang am Samstag auf Anfrage. Genaueres könne man dazu vorerst nicht mitteilen.
Zum Schutz von Verbrauchern will Frankreich rasch eine freiwillige Kennzeichnung von Fleisch erreichen, wie Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll der Zeitung „20 Minutes“ sagte. Das französische Unternehmen Spanghero soll für falsch deklarierte Lieferungen verantwortlich sein - weist die Vorwürfe jedoch zurück. Ermittlungen zufolge hat Spanghero aber wissentlich solches Fleisch etwa an den Hersteller Comigel verkauft. Insgesamt soll Comigel rund 4,5 Millionen Fertiggerichte mit falsch deklariertem Fleisch von Spanghero hergestellt haben, die an mindestens 28 Unternehmen in 13 europäischen Ländern verkauft wurden.
Von einer verdächtigen Lasagne sind rund 179 000 Packungen nach Deutschland geliefert worden. Dies gehe aus einer EU-Information hervor, sagte ein Sprecher des Bundesverbraucherschutzministeriums. Das Nudelgericht sei in Deutschland unter verschiedenen Markennamen verkauft worden.
Der vom Skandal betroffene Neuruppiner Konservenhersteller Dreistern hatte sechs Lieferanten. Es handele sich um vier deutsche, ein belgisches und ein niederländisches Unternehmen, teilte das brandenburgische Verbraucherschutzministerium am Samstag mit. Mittlerweile seien alle von der Dreistern-Konserven GmbH & Co. KG produzierten Chargen Rindergulasch zurückgerufen worden. Die nachgewiesenen Spuren von Pferde-DNA könnten „im Rahmen der Fleischverarbeitung bereits durch die Nutzung gemeinsamer Schlachthäuser oder Transportbehälter entstanden sein“, so das Ministerium.
In Großbritannien wurden laut Polizei am Samstag bei Razzien in drei Fleisch verarbeitenden Betrieben in London und in Hull, Nordost-England, umfangreiches Probematerial und Computerunterlagen beschlagnahmt.