Polizei-Pannenserie im Mordfall Lena
Hannover/Emden (dpa) - Die Pannenserie im Mordfall Lena hat nun strafrechtliche Ermittlungen gegen mehrere Polizisten zur Folge. Die Staatsanwaltschaft Aurich ermittelt gegen zwei Beamte der dortigen Polizeiinspektion wegen des Anfangsverdachts der Strafvereitelung im Amt, teilte die Justizbehörde mit.
Außerdem gibt es Disziplinarverfahren gegen diese beiden und weitere Beamte. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann spricht von individuellen Fehlern.
Es besteht dringender Klärungsbedarf: Der tatverdächtige 18-Jährige hatte sich bereits im November bei der Polizei Emden nach einer Behandlung in der Psychiatrie als Pädophiler angezeigt. „Er wollte gegen diese Krankheit ankämpfen. Teil dieser Therapie war die Selbstanzeige“, sagte Landespolizeidirektor Volker Kluwe in Hannover.
Neben dem Besitz von Kinderpornos hatte der 18-Jährige zugegeben, bereits 2010 zu Hause ein siebenjähriges Mädchen ausgezogen und fotografiert zu haben. Die Mutter hatte ihn dabei ertappt und das Jugendamt informiert. Wenn der junge Mann damals rechtzeitig intensiver überprüft worden wäre, hätte der Mord an der elfjährigen Lena vielleicht verhindert werden können.
Der 18-Jährige hatte die Tötung Lenas bei seiner Vernehmung am Wochenende zugegeben. Seitdem schweigt der in Untersuchungshaft sitzende Mann. Das Mädchen war am 24. März in einem Parkhaus umgebracht worden, vermutlich zur Verdeckung eines vorangegangenen Sexualverbrechens. Ursprünglich war ein 17-Jähriger verdächtigt worden. Am Abend versammelten sich in Emden rund 200 Menschen aus Solidarität für den zu Unrecht Festgenommenen, der inzwischen volljährig ist.
Innenminister Schünemann (CDU) räumte schwere Fehler der Beamten ein. Bei der Polizei Aurich habe es offensichtlich Versäumnisse und eine schleppende Sachbearbeitung gegeben. „Das ist etwas, was mich auch persönlich sehr berührt“, sagte Schünemann.
So wurde die Selbstanzeige wegen sexuellen Missbrauchs lediglich einem Kinderpornografie-Verfahren untergeordnet, obwohl die Nacktaufnahme der Siebenjährigen das schwerere Vergehen war. Wie jetzt erst bekanntwurde, hatte den 18-Jährigen sein Stiefvater bereits im September 2011 angezeigt, weil er Kinderpornos auf dessen Computer heruntergeladen hatte.
Der junge Mann hätte einen Fingerabdruck abgeben und fotografiert werden müssen, sagte Schünemann. Vor allem hätte man, wie bei Sexualdelikten üblich, eine Speichelprobe nehmen müssen.
Angesichts der Ermittlungspannen rief der Anwalt von Lenas Familie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ zufolge zur Besonnenheit auf. Bernhard Weiner sagte dem Blatt: „Versäumnisse sollten zunächst gründlich aufgeklärt werden, um dann auf sicherer Informationsbasis Schlüsse zu ziehen und über Konsequenzen zu entscheiden.“
Zugleich forderte der Anwalt aus dem emsländischen Meppen, die Privatsphäre von Lenas Familie zu respektieren. „Ihre Wohnung ist von Neugierigen und Medienvertretern belagert“, sagte er. Wer die Familie unterstützen wolle, solle sich „zurück- und fernhalten oder für Lena und ihre Familie beten“.
Die Fehler in dem Fall wiegen umso schwerer, weil nur einen Tag nach der Selbstanzeige eine Joggerin knapp einer Vergewaltigung in den Emder Wallanlagen entkam. Die Polizei ordnete die Tat nach der Aufklärung des Mordes an Lena mit Hilfe einer DNA-Untersuchung dann dem 18-Jährigen zu. Jetzt prüfen die Fahnder auch einen weiteren Übergriff auf einen Jungen in Emden vom 1. März.
Mit Tauchern suchten die Ermittler bis zum Abend in den Kanälen der Wallanlagen der ostfriesischen Stadt nach der Tatwaffe. Es wurden keine relevanten Gegenstände gefunden, wie die Polizei mitteilte.
Bei den Disziplinarverfahren handelt es sich der „Welt“ zufolge um sechs Personen. Ein Sprecher der Polizei Osnabrück verwies darauf, dass mehrere Beamte betroffen seien. Das Innenministerium sprach von mehreren Sachbearbeitern sowie zwei Vorgesetzten bei der Polizei in Aurich.
Die polizeiinternen Ermittler prüfen jetzt auch, warum der richterliche Durchsuchungsbeschluss wegen Kinderpornografie vom 30. Dezember bei der Polizei im niedersächsischen Aurich nicht umgesetzt wurde. Aus ermittlungstaktischen Gründen kann die Polizei selbst entscheiden, wann sie solch einen Beschluss bearbeitet.