Prinz Charles, der Architekt

Wie sich der künftige König das Wohn-Glück seiner Untertanen vorstellt? Besuch in Poundbury, Dorset.

Düsseldorf. Wer Poundbury nicht kennt und spätabends, im Dunkeln, den Kreisverkehr in Dorchester verlässt, der meint, in einer Traumwelt gelandet zu sein. Die Straße schlängelt sich in sanften Kurven um schöne, scheinbar alte Häuser. Rastlos blinkende Ampeln? Grelle Reklame? Maßregelnde Verkehrsschilder?

All das ist wie von Zauberhand verschwunden. Der Blick des Spaziergängers schweift ungehindert zu den Sternen, weil kaum eine Straßenlaterne den Weg oder die Sicht behindert. Wir befinden uns im Jahr 2013 — und gleichzeitig in einem Dorf des 18. Jahrhunderts.

Es ist ein Reich für sich, das Prinz Charles im südenglischen Dorset seit 1994 errichten lässt. Der künftige König ist Vorreiter einer Revolution: Nach gesünderer Ernährung bemüht er sich um Architektur, die glücklicher macht. Doch: Liegt der Schlüssel zu einem besseren Lebensgefühl in urbanen Dörfern, die uns Ressourcenräuber und Selbstzerstörer in Einklang bringen mit der Umwelt?

Ein zweiter britischer Visionär, Alain de Botton, widerspricht und gießt Entwürfe in Beton. Das Ergebnis dieses Architekturstreits zwischen Prinz und Philosoph: radikal gegensätzlich — so wie unser aller persönliche Ideen vom Glück.

De Botton bietet in einer Reihe futuristischer Bauten weit ab von Poundbury die Gelegenheit, für ein paar Tage in eine andere Haut zu schlüpfen. Fünf Unterkünfte hat er mit namhaften Architekten in England errichten lassen. Solitäre, die eine Debatte übers Wohn-Glück anstoßen sollen. Darunter: Ein Ferienhaus in Suffolk, das abenteuerlich über einer Grasklippe balanciert. Und ein Boot, hoch über den stürmischen Wogen des Londoner Metropolen-Alltags.

Der Tapetenwechsel, den Prinz Charles auf seinen Ländereien plant, hat hingegen stattliche Ausmaße. 1200 Häuser ließ der Thronfolger bereits bauen, bis 2026 folgen noch einmal so viele.

Dem Öko-Prinzen geht es um große Fragen der Zeit. Wie heilen wir die Risse, die durch die Gesellschaft laufen? Wie verhindern wir die Verstädterung der Natur? Wie und wo fühlen sich Menschen zuhause? Poundbury dient dem Thronfolger dabei als Blaupause für ganz Großbritannien.

Für jeden, der mit Wehmut beobachtet, wie am Ortsrand wieder einmal alte Bäume und wilde Wiesen ein paar 08/15-Neubauten weichen müssen, dürfte Prinz Charles der Robin Hood der Architektur sein. Seiner Philosophie folgend, dürfen für Häuser nur Materialien verwendet werden, die in der Natur vorkommen. Honigfarbene Portland-Steine statt Stahl. Optisch soll Poundbury sich in die Landschaft einfügen. Verschachtelte Höfe, pittoreske Steinmauern und Laubengänge schmeicheln dem Auge.

Und was passiert, wenn die Theorie auf die Wirklichkeit trifft? „Raten Sie mal, aus welchem Material mein Garagentor ist“, lächelt Fran Leaper verschwörerisch. Holz müsste es sein. Doch bei der Vorsitzenden der Bürgervereinigung von Poundbury ist es ein Holzimitat aus Plastik samt Fernbedienung. Viel praktischer, meint sie.

Das Thema Auto ist ein heißes Eisen im Vorzeige-Städtchen. Als Umwelt-Visionär hat Prinz Charles das Viertel fußgängerfreundlich konzipiert, als Ästhet die parkenden Karossen in Hinterhöfe verbannt. Doch was macht der Mensch, dieses Gewohnheitstier? Er pfeift drauf und parkt vor der Haustür. „Die Straßen sind nicht zum Parken ausgelegt“, erklärt Leaper. Wer hier steht, blockiert immer irgendwas oder irgendjemanden. Da lässt sich dann beobachten, wie schnell ein harmonisch angelegtes Arkadien die soziale Dynamik des Dschungelcamps annehmen kann.

Weiterer beglückender Ansatz: das Aus für das verhasste Pendeln zum Job. Es mache uns dick, erschöpft und krank. Zur Arbeit radeln oder im Homeoffice arbeiten? In Poundbury soll das allen möglich sein, weshalb Prinz Charles die Trennung von Gewerbeflächen und Wohngebieten aufgehoben hat. Da lärmen Maschinen, machen Brummi-Fahrer vor den schicken Fassaden Siesta, brettern Lieferwagen durchs Idyll. „Es wäre besser, nur kreatives Gewerbe anzusiedeln“, sagt Fran Leaper diplomatisch.

Was wir schön finden, hat Philosoph Alain de Botton ergründet, sagt viel aus über unsere Sehnsüchte und unsere Vorstellungen vom Glück. Die Macht der Architektur spüren wir in großzügigen Kathedralen, die uns optimistisch und offen stimmen, oder in einer düsteren Kantine, die uns in 30 Minuten Pause jede Zuversicht für den Rest des Tages raubt.

Poundbury erzählt auch, wie sich ein Spross des Königshauses — herzlich chauvinistisch — ein gutes Leben für Durchschnittsbürger denkt. Die Bewohner, auf ihre Art Pioniere, halten zum Glück nicht hinterm Berg mit Kritik an den Kinderkrankheiten. Das hehre Ideal: Nachhaltigkeit, Umweltschutz. Tatsache: Häuser, die müffeln, weil sie mit Schafswolle isoliert sind. Dennoch: Fragen Sie einen Poundburianer, dann wird er sagen, wie zufrieden ihn dieser Ort macht. Die Häuser sind begehrt, die Preise steigen.

30 Prozent des Wohnraums hat Prinz Charles für finanzschwache Familien reserviert. Armut und Reichtum wird auch er nicht abschaffen können, aber er sorgt dafür, dass niemand sich als Außenseiter fühlt, nur weil sein Status an der desolaten Unterkunft abzulesen ist. Die Sozialwohnungen sind keine Wohnbunker am Ortsrand, sondern sie haben den gleichen Baustil und die gleichen guten Lagen.

„Die positiven Auswirkungen von schönem Wohnen sind nicht so offensichtlich wie die von sauberem Trinkwasser“, sagt de Botton, „deshalb hat Architektur es schwer, sich auf der Agenda der Stadtplaner nach oben zu kämpfen.“ Indem er in seine Feriendomizile lockt, weckt er jedoch auch den Ehrgeiz für die heimischen durchschnittlich 91,7 Quadratmeter. Er möchte erreichen, dass das breite Geschmacksniveau in Sachen Wohnen steigt.

Wie Prinz Charles arbeitet auch de Botton an der großen Revolution. „Bei der Frage nach gutem und gesundem Essen sind die Veränderungen schnell und überwältigend passiert. Konsumenten achten plötzlich auf Salz- und Fettgehalt. Diese Menschen hinterfragen hoffentlich bald auch die schlimmsten Charakterzüge von Wohnungen.“