Radiohead lösen „Internet-Tsunami“ aus

Berlin (dpa) - Keine Rockband beherrscht das Internet wie Radiohead. Mit einem Überraschungscoup veröffentlichen die Briten ihr neues Album als Sieben-Euro-Download auf der eigenen Website. Mindestens ebenso faszinierend wie die Musik ist, was drumherum im Netz passiert.

Die Zeiten traditioneller Selbstvermarktung sind für Radiohead schon lange vorbei. Während andere Bands durch teure PR-Kampagnen oder auch effektvoll platzierte Skandälchen die Spannung für eine neue Platte anheizen wollen, setzen die Artrock-Virtuosen ohne Hilfe eines großen Labels ganz auf die Präsenz im weltweiten Netz - und ihren phänomenalen Ruf als Pop-Avantgardisten. Der Internet-Hype der vergangenen Tage zum achten Studioalbum gibt ihnen wieder einmal Recht.

Radiohead stellten „The King Of Limbs“ (CD-Veröffentlichung 25. März, über XL/Beggars Group) am Freitag, nur vier Tage nach der überraschenden Ankündigung, zum kostenpflichtigen Herunterladen auf ihre Website. Schon der erste dezente Hinweis auf www.radiohead.com („Thank You For Waiting“) hatte am 14. Februar eine Welle der Verzückung im Internet freigesetzt.

„Bin so aufgeregt!“, „Ich kann es nicht mehr erwarten!“ oder „Sie beschenken uns zum Valentinstag“ war neben vielen anderen Fan-Posts zu lesen. In den Tagen danach wurde in den Blogs überwiegend diskutiert, wie das neue Werk, das erste der Band seit rund vier Jahren, wohl klingen würde: eher zugänglich oder experimentell. Am Sonntag waren per Suchmaschine zu den Begriffen „Radiohead“ und „The King Of Limbs“ gut zehn Millionen Einträge abrufbar. Die „New York Times“ staunte über den „Internet-Tsunami“.

Viel war vor dem noch einmal kurzfristig vorgezogenen Download-Startschuss am Freitag nicht bekannt über das Album: Es wurde wieder von Nigel Godrich produziert, soll nach einem uralten Baum benannt worden sein und enthält acht Songs in schlanken 37 Minuten. Sieben Euro kosten die Dateien in solider MP3-Qualität. Dass der sekundenschnelle Erwerb von frischer Radiohead-Musik per Mausklick diesmal seinen Preis hat, geht auf die Erfahrungen mit dem Vorgänger-Album „In Rainbows“ (2007) zurück.

Das hatte die 1986 in Oxford gegründete Band zunächst ebenfalls nur auf ihrer Website angeboten. Jeder Kunde konnte selbst bestimmen, wie viel Geld ihm die zehn komplexen, hochmelodischen Songs wert sind, und ein Großteil soll sich wider Erwarten umsonst bedient haben. Dem Erfolg von „In Rainbows“ tat das letztlich keinen Abbruch - nach der „physischen“ Veröffentlichung auf CD und Vinyl wurde das Werk nochmals millionenfach verkauft und erreichte Platz 1 in den britischen und amerikanischen Charts.

Verkaufstechnisch gehen Radiohead diesmal also für ihre Verhältnisse auf Nummer sicher. Künstlerisch schlagen sie auf „The King Of Limbs“ zwar nicht gänzlich neue Wege ein. Aber sie bleiben doch ihrem Kurs treu, sich nie zu wiederholen und immer etwas zu riskieren. Auch dieses Album wird auf vielen Jahresbestenlisten landen und sich glänzend verkaufen.

Ist die gebotene Musik die Aufregung bei Millionen Fans und den Journalisten, die schon am Veröffentlichungstag Schnellschuss-Rezensionen online stellten, also wert? Uneingeschränkt: Ja. „The King Of Limbs“ ist eines der besten Alben in der langen Karriere von Radiohead. Eine Kopfhörer-Platte, die die Intellektuellenband auf der Höhe ihrer Kunst zeigt.

Der von einem verschachteltem Drum-and-Bass-Rhythmus vorangetriebene, später jazzig-orchestrale Eröffnungssong „Bloom“ setzt gleich hohe Maßstäbe. „Morning Mr Magpie“ stellt eine groovende Basslinie und Thom Yorkes charakteristische, intensive Stimme in den Mittelpunkt. Weiter geht's mit den flirrenden Gitarren und den rasselnden Percussions von „Little By Little“.

Auf das psychedelische „Feral“ folgt das bereits als Video ins Netz gestellte „Lotus Flower“: Wieder ist es der federnde Bass von Colin Greenwood, der den an Pink Floyd erinnernden Song strukturiert. Die Piano/Orchester-Ballade „Codex“ gehört zu den erhabensten Momenten des Albums. Unter Jonny Greenwoods Akustik-Gitarre auf „Give Up The Ghost“ hat die Band Loops geschichtet, Yorkes Gesang schwingt sich in dramatische Höhen. Mit dem sphärischen „Separator“ endet eine faszinierende musikalische Reise.