Radisch über Alexijewitsch: Das ist keine Literatur

Hamburg (dpa) - Die Feuilleton-Chefin der „Zeit“, Iris Radisch, hat ihre Kritik an der Vergabe des Literaturnobelpreises an die weißrussische Journalistin Swetlana Alexijewitsch verteidigt. Man dürfe Journalismus nicht mit Literatur verwechseln, sagte Radisch der Deutschen Presse-Agentur.

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„Literatur muss etwas Schöpferisches haben. Sie muss „fiction“, eine eigene Erfindung sein, sie muss eine besondere Sprachqualität haben, und sie muss - das ist ganz wichtig - eine eigene imaginative und weltverwandelnde Kraft haben“, forderte Radisch. „Das ist bei Swetlana Alexijewitsch nicht der Fall.“

„Sie hat Interviews geführt und O-Töne von Zeitzeugen bearbeitet“, erklärte Radisch. „Und da liegt der Streit: Die einen sagen, sie hat ihre Interviews nach literarischen Kriterien bearbeitet. Das bestreite ich. Ich sage: Sie hat die O-Töne nach den Kriterien eines sehr guten Journalismus bearbeitet.“

„Selbstverständlich bearbeiten wir Journalisten unsere Interviews ganz ähnlich wie Swetlana Alexijewitsch“, sagte Radisch. „Wir drucken sie niemals 1:1. Alle Interviews, die in unseren Zeitungen erscheinen, sind bearbeitete Interviews.

Frau Alexijewitsch macht das in einer sehr eigensinnigen und ausführlichen Art und Weise.“ Aber das Basismaterial seien eben bei ihr Interviews und O-Töne „und nicht die literarische Einbildungskraft“. „Das ist keine Literatur. Ich nenne das Protokolle oder eben einfach gute Interviews. Nicht mehr.“

„Ich finde es nicht richtig, Literatur zum Themenlieferanten zu degradieren. Darum beobachte ich mit Sorge, dass Literatur zunehmend mit außerliterarischen Kriterien beurteilt und gewertschätzt wird“, sagte Radisch. „Ein Beispiel ist der Roman von Jenny Erpenbeck „Gehen, ging, gegangen“, der für so wichtig gehalten wird, weil er das Flüchtlingsthema behandelt.“

Dann trete aber die Frage in den Hintergrund, welche literarischen Qualitäten der Roman habe. „Mir als Literaturkritikerin reicht es nicht, dass ein Buch nur ein spannendes Thema liefert.“

Viele Experten hatten die Entscheidung der Schwedischen Akademie als wichtiges politisches Signal begrüßt. Radisch mahnte dagegen: „Der Nobelpreis darf sich nicht so sehr an außerliterarischen Kriterien orientieren. Der Literaturnobelpreis ist eine Institution. Der muss sich danach richten, was nach genuin literarischen Kriterien gut oder schlecht ist.“

„Sie bekommt den Preis für Literatur, sie schreibt aber journalistische Texte. Ich finde, das geht überhaupt nicht“, fasste Radisch ihre Position zusammen. Damit sei sie offenbar nicht in der Mehrheitsfraktion, aber: „Einer muss ja die Fahne der Literatur hochhalten.“