Reichsbürger — die Gefahr vom Land
Die Extremisten sind eine in Deutschland aktive rechte Bewegung. Die Szene wird in NRW auf 2200 Menschen beziffert.
Düsseldorf. Sie bezeichnen sich als Germaniten, Preußen oder gerne auch als Justizopfer: Jeder Sechste der bundesweit rund 15 600 so genannten Reichsbürger lebt in Nordrhein-Westfalen. Die Szene wird in NRW auf 2200 Menschen beziffert. Vor zwei Jahren waren es noch 300. Zunächst von vielen als „Spinner“ belächelt, hat sich die Einschätzung spätestens seit dem Mord an einem Polizisten im Oktober 2016 durch einen Reichsbürger in Bayern gewandelt. Inzwischen hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz eine umfassende Bestandsaufnahme des Phänomens vorgelegt.
Die ländlichen Regionen seien grundsätzlich stärker betroffen, berichten die Verfassungsschützer. Die Hochburgen der Reichsbürger sind Ostwestfalen, Lippe, Soest, der Hochsauerlandkreis und der Großraum Köln. Erstmals werden die Reichsbürger auch im jüngsten NRW-Verfassungsschutzbericht erwähnt. Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht als Staat an, sprechen Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab und akzeptieren keine amtlichen Bescheide. „Sie versuchen, unsere Behörden lahmzulegen. Viele sind äußerst gewaltbereit“, hatte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bei der Vorstellung des Berichts gesagt. Die Bewegung sei „skurril, aber nicht minder gefährlich“. Bei der Justiz-Opfer-Hilfe im westfälischen Löhne handele es sich laut Verfassungsschutz um eine solche Reichsbürgerorganisation.
Das „Indigene Volk der Germaniten“ hat seine Zentrale in Bochum. Die Gruppe sei durch den massenhaften Fax-Versand von Schriftsätzen an Behörden in Erscheinung getreten. Die „Verfassungsgebende Versammlung“ (VV) — Bundesstaat Deutschland verbreite ebenfalls typische Reichsbürger-Ideologie. Sie trete als vermeintlich einziger legitimer Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches auf. Zum Unterstützerkreis in NRW zählen rund 70 Personen. Die „Deutsche Reichsdruckerei / Präsidium“ des deutschen Reiches firmiert in Kaarst und tritt auch als „Bundes- und Reichspräsidium“, „Beweissicherungsamt des Deutschen Reiches“, „Reichsjustizamt“ und „Volks-Reichstag“ auf. Auf ihren Webseiten werden Fantasiedokumente wie ein „Reichs-Personenausweis“ oder eine „Reichs-Fahrerlaubnis“ verkauft. Der Verein „Agape“ in Gelsenkirchen habe nur scheinbar einen „freiheitlich-religiösen“ Charakter. Die Polizei habe wegen diverser Betrugsdelikte gegen Mitglieder ermittelt.
Die Gruppe „Bio-Energetisches Leben“ mit Sitz in Duisburg zählen die Staatsschützer ebenfalls zur Reichsbürger-Bewegung. Vordergründig beschäftigten sich die Mitglieder mit allgemeiner Lebenshilfe. Tatsächlich gehe es um Überweisungsbetrug und das Erschleichen von Geldern, so der Nachrichtendienst. Der „Freistaat Preußen“ betrachtet sich ebenfalls als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches. Die Gruppierung bestreite die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und deren völkerrechtliche Existenz. Funktionäre einer Abspaltung erregten mit dem Versuch eines Waffenankaufs zwecks Aufbaus einer eigenen Polizeitruppe bundesweites Aufsehen.
Die Polizei ist in NRW damit beschäftigt, die bewaffneten Reichsbürger zu entwaffnen. So wurden bei vier mutmaßlichen Reichsbürgern am Niederrhein im vergangenen Jahr 36 Schusswaffen und fast 20 000 Schuss Munition beschlagnahmt.
Die Reichsbürgerbewegung sei ausgesprochen heterogen, umfasse national-völkisch denkende Rechtsextremisten, „staatenlose“ Aussteiger („Selbstverwalter“), selbst ernannte Monarchen und Verschwörungstheoretiker, sagt der Jurist Professor Achim Förster von der Hochschule Würzburg/Schweinfurt. Ihre These vom Fortbestand des Deutschen Reiches begründeten Reichsbürger häufig damit, dass es bisher keinen Friedensvertrag gebe und Deutschland noch immer ein besetztes Land sei. Dies sei völkerrechtlich unhaltbar.
Spätestens mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 sei klargestellt, dass ein dauerhafter Friedenszustand bestehe und die Bundesrepublik Deutschland vollständig souverän sei. „Die Reichsbürger berufen sich gerne auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973“, sagt Förster. Darin heiße es, das Deutsche Reich habe überdauert, existiere fort, sei aber nicht handlungsfähig. Was die Reichsbürger dabei unterschlagen: Das höchste deutsche Gericht kommt gerade nicht zu dem Schluss, dass die Bundesrepublik nicht existiert. Ganz im Gegenteil: Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist die Bundesrepublik mit dem Deutschen Reich identisch bzw. „teilidentisch“ — „damals gab es ja auch noch die DDR“, sagt Förster.