Reportage Abschiebungen: Im Flieger nach Afghanistan

Kabul/Tiflis · Wut, Resignation, Angst – wer abgeschoben wird, durchlebt ein Wechselbad der Gefühle. Polizisten, die Abschiebeflüge begleiten, haben gelernt, fremde Menschen in so einer Situation zu beruhigen.

45 abgelehnte Asylbewerber wurden mit dem Sonderflug in Afghanistans Hauptstadt Kabul abgeschoben.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Hinter dem schweren blauen Gitter, wo normale Passagiere keinen Zutritt haben, liegt der Ausgangspunkt für eine Reise ohne Vorfreude. Polizeibeamte und Mitarbeiter von Ausländerbehörden haben an diesem schwülen Sommertag 46 Männer zum Flughafen Leipzig-Halle gefahren. Keiner von ihnen wollte diesen Flug nach Afghanistan antreten. Doch die Abschiebungsmaschinerie läuft.

Im letzten Moment gelingt es einem der Afghanen gerade noch, sich wieder festzukrallen in der selbstgewählten Heimat. Ein bayerischer Richter hat kurzfristig festgestellt: Der Mann darf erstmal bleiben. Die anderen 45 müssen los – egal welche Gefühle sie bewegen, ob Wut, Angst, Verzweiflung oder Hoffnung.

Als erstes müssen sich die Männer auf einen Stuhl setzen, der am Eingang einer kleinen Halle steht. Dort gibt es eine Art Einweisung. Wer auf dem Stuhl sitzt, wird umringt von Polizisten. Die Bundesbeamten tragen gelbe Westen, auf denen „Escort“ zu lesen ist oder „Backup Team“ – Begleitperson oder Ersatz-Team. Neben ihnen steht ein Übersetzer. Dieser erklärt, was nun folgt: Durchsuchung, Warten, dann fährt ein Bus zum Flieger.

Das Durchsuchen, das hinter einer geschlossenen Tür passiert, ist für alle Beteiligten unangenehm. „Aber ohne geht es nicht“, sagt ein Bundespolizist aus Sachsen. Er hat schon mehr als 3000 Menschen gegen ihren Willen in deren Heimatländer gebracht. Waffen tragen in der Halle nur die Polizisten aus den Bundesländern, die die Afghanen hergebracht haben. Die 74 Männer und Frauen der Bundespolizei, die mitfliegen nach Kabul, sind unbewaffnet.

Dauerbewachung bis auf die Toilette

In einer zweiten Halle sitzen sie später an schweren Holztischen neben den Ausländern, die sie in den nächsten neun Stunden nicht aus den Augen lassen werden. Wer zur Toilette muss, wird begleitet. Für einen Teil der Männer ist Bewachung nicht ungewohnt: 22 von ihnen waren in Deutschland inhaftiert. Für sie ist dieser unfreiwillige Flug auch ein Trip in die Freiheit.

Einer der ehemaligen Häftlinge war wegen Gewalt mit Todesfolge verurteilt worden. Damals, im September 2018, war ein 22-Jähriger zu Boden gegangen. Der junge Deutsche starb an einem plötzlichen Herztod. Der Afghane, der Deutschland jetzt verlassen muss, war bei der Tat 17 Jahre alt.

Sondermaßnahmen für „Schwererziehbare“

Es ist dunkel, als zwei Busse vor die Halle rollen. Eine kurze Fahrt zum Flieger. Dann wieder warten. Je zwei Polizisten haken einen Afghanen rechts und links unter. Einzeln werden die Männer die Flugzeugtreppe hochgeführt. Drinnen in der Maschine warten Flugbegleiterinnen einer Chartergesellschaft. Die Stewardessen lächeln professionell.

Auch als zwei Männer ins Flugzeug gebracht werden, denen die Polizisten mit einem schwarzen Gurt die Arme am Rumpf fixiert haben. „Body Cuff“ nennen sich die Vorrichtungen, die sich locker oder fest anziehen lassen.

Mehr als 5000 Menschen aus Afghanistan haben im Jahr 2019 bislang einen Asylantrag gestellt. Nicht jeder darf bleiben.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Wer sich vorhin in der Halle gewehrt hat, wer wiederholt aufstehen und hinausgehen wollte, wird im hinteren Teil der Boeing 767 platziert. „Das sind die Schwererziehbaren“, heißt es im Polizei-Jargon. Einer der Männer auf den hinteren Sitzen hat einen dünnen, ungestutzten Bart. Er soll früher für die Taliban gekämpft haben. Der Bärtige wird einer von drei Abgeschobenen sein, die gleich nach der Ankunft in Kabul am nächsten Morgen niederknien werden, um den Boden zu küssen – als Zeichen ihrer Liebe zum Heimatland.

In der Maschine ist es ruhig. Niemand spricht laut. Nachdem das Flugzeug abgehoben hat, wird es noch stiller. Nur ein Mann trägt noch den Fesselungsgurt. Er ist klein, muskulös, hat die Haare an den Seiten ausrasiert und in der Mitte mit Gel nach hinten gekämmt. Er redet viel, isst viel, schließlich sinkt sein Kopf auf das weiße Kissen, das ihm die Stewardess gebracht hat. Viele der Afghanen schlafen jetzt. Einige ziehen sich eine Decke über den Kopf, als Schutz gegen das grelle Flugzeug-Licht.

Wenn einem der Bundespolizisten mit den gelben Westen die Augen zufallen, kommt jemand aus dem Ersatz-Team. Für die Polizisten ist es ein relativ entspannter Flug. Fesseln und Spuckschutz-Hauben, die sie eingepackt haben, kommen nicht zum Einsatz.

Viele entziehen sich der Abschiebung

Auch für die Ausländerbehörden ist es ein guter Tag. 45 „Rückzuführende“ an Bord ist für sie eine Erfolgszahl. Beim Kabul-Flug Mitte Juni waren von Dutzenden abgelehnten Asylbewerbern, die auf der Liste standen, nur elf eingestiegen. Manchmal kommt auf den letzten Metern ein Gerichtsbeschluss. Oder jemand wird krank. Einer der Hauptgründe für das Nicht-Erscheinen lautet „wurde nicht angetroffen“. Ein strengeres Gesetz soll das jetzt ändern. Jede Sammelabschiebung ist eine aufwendige, teure Operation. Von den bundesweit rund 1500 Polizisten, die als „Personenbegleiter Luft“ geschult wurden, müssen genügend verfügbar sein. Außerdem sind Mitarbeiter der europäischen Grenzschutzagentur Frontex dabei. Frontex zahlt häufig die Flugzeug-Kosten.

Ausstieg in Kabul nur mit Schutzwesten

Inzwischen fällt Tageslicht herein. Beklommene Blicke aus dem Fenster. Unten Bergkämme, Hochtäler, rotbraun und kahl. Nach der Landung geht alles ganz schnell. Vier Polizisten ziehen Schutzwesten an. Sie steigen aus, um das Flugzeug zu sichern. Der letzte größere Terroranschlag in der afghanischen Hauptstadt liegt erst wenige Tage zurück. Zügig steigen die Abgeschobenen die Flugzeugtreppe hinunter, begrüßen afghanische Polizisten mit Handschlag.

Das Gepäck der Menschen, die Deutschland jetzt verlassen müssen, liegt in Leipzig zum Transport bereit.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Dann geht es per Bus zum Terminal. Da eine Glasschiebetür klemmt, werden die Angekommenen durch einen Nebeneingang ins Gebäude gebracht – zur Passkontrolle. Jeder Neuankömmling muss seine Papiere vorzeigen. In einem Nebenraum gibt es Geld, rund 150 Euro von einer UN-Behörde. Das reicht, um einige Tage in einer billigen Unterkunft zu schlafen und zu essen. Was danach kommt, wissen die meisten Rückkehrer noch nicht.

Im Flugzeug haben die Polizisten unterdessen die Westen ausgezogen. Einige tauschen das Hemd gegen ein bequemes T-Shirt. Die Anspannung ist jetzt verflogen. Wo eben noch Konzentration herrschte, dominiert jetzt Müdigkeit. Nach einer Nacht ohne Schlaf setzen viele die Kopfhörer auf, hören Musik, um runterzukommen, oder machen sich lang auf den Sitzen.

Die Erlebnisse belasten „nicht sonderlich“

Stephan, groß, schwer, kurze Haare, kann nicht schlafen. Er sagt: „Ich versuche immer, einen Draht zu demjenigen zu finden, den ich begleite – Vertrauen zu schaffen. Das klappt meistens, aber nicht immer.“ Was er bei Abschiebungen erlebe, belaste ihn nicht sonderlich, sagt er. Der Rheinländer wird, wenn er zu Hause ankommt, fünf Tage unterwegs gewesen sein. Denn von Kabul geht es zunächst nach Taschkent. In der Hauptstadt Usbekistans wird das Flugzeug betankt. Eine neue Crew kommt an Bord. Dann fliegen die übermüdeten Polizisten nach Tiflis.

Als sie mit dem Bus durch die Hauptstadt fahren, spricht niemand über die vergangenen Stunden. Es herrscht eine Atmosphäre wie bei einem Betriebsausflug. Ein Polizist zeigt auf dem Handy Fotos vom letzten Urlaub. Endlich mal duschen, ein Kaffee, ein Glas Bier. Jeder hat andere Prioritäten.

Matthias, 54 und aus Brandenburg, arbeitet regulär am Flughafen. Der ehemalige DDR-Bürger hat sich 1992 freiwillig gemeldet, um Abschiebungen zu begleiten, auch weil er mehr von der Welt sehen wollte.

Jeder Einsatz ist für die Personenbegleiter freiwillig

Nicht nur die dreiwöchige Zusatzausbildung zum „Personenbegleiter Luft“ ist für die Bundespolizisten freiwillig, sondern auch die Teilnahme an jedem einzelnen Einsatz. Es gibt Beamte, die nicht nach Kabul fliegen wollen. Etwa weil sie oder Angehörige Angst haben vor einem Angriff auf das Flugzeug. Andere sind nicht sicher, ob es richtig ist, Menschen dorthin abzuschieben. Schließlich heißt es in den Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes, die Sicherheitslage in großen Teilen des Landes sei unübersichtlich und unvorhersehbar.

Erinnerungen an Kotgeruch und Faustschlag

Matthias, dunkles Haar und Brille, ist ein fröhlicher Typ. 36 Abschiebungen hat er im vergangenen Jahr begleitet. Er erzählt von einem Afrikaner, der auf dem Flug offenbar absichtlich in die Hose gemacht habe. Der Geruch von Kot sei für alle Mitreisenden eine Qual gewesen. Die Einsatzleiterin erinnert sich an einen Nigerianer, der einem ihrer Kollegen unvermittelt mit der Faust ins Gesicht schlug.

Am nächsten Morgen beim Frühstück in Tiflis tragen viele der Polizisten kurze Hosen. Dass die Beamten mit Gesichtern und Familiennamen nicht in den Medien auftauchen wollen, hat damit zu tun, dass Abschiebungen nicht unumstritten sind. Über Sammelabschiebungen berichten die Behörden in der Regel erst hinterher. Journalisten an Bord sind eigentlich nicht erwünscht. „Rückführungen sind in mehrfacher Hinsicht sensible Maßnahmen und erfolgen deshalb unter Ausschluss der Öffentlichkeit“, erläutert ein Sprecher des Innenressorts. „Da sie zugleich häufig Gegenstand von zum Teil unberechtigter Kritik sind, wurde nach intensiver Abwägung auf Leitungsebene im Bundesinnenministerium entschieden, um hier mehr Transparenz zu schaffen, ausnahmsweise einem Medium mit großer Reichweite die Begleitung zu ermöglichen.“

Den Bekannten am besten nicht vom Job erzählen

Für Menschen, die gegen Abschiebungen demonstrieren, sind die Polizisten Vollstrecker des Bösen. Die Beamten selbst sehen ihre Rolle anders. Matthias sagt, in Afrika spielten zu viele Menschen mit dem Gedanken, sich nach Europa aufzumachen. Dass das nicht aufgehen könne, müsse jedem einleuchten. Dennoch erzählen einige im Bekanntenkreis nicht, was es mit ihren Dienstreisen auf sich hat. Zurück am Flughafen Leipzig-Halle, 48 Stunden nach Beginn der Operation, hält die Einsatzleiterin eine kurze Ansprache. Dann geht’s nach Hause.