Selbstvermarktung RTL-Dschungelcamp: Mein Leid, mein Leben, mein Konzept
Düsseldorf · Das einst reizvolle RTL-Dschungelcamp hat sich verändert. Die Protagonisten sind keine Stars von einst mehr, sondern vom Sender gezüchtete Reality-Formatler, die frontal auf Selbstvermarktung setzen.
Als Freitag die ziemlich junge Freundin des Sängers und Reality-Stars Michael Wendler ihrem Freund in den USA einen großen SUV auf die Hauseinfahrt stellte, den passenden Schlüssel übergab und danach das ganze fröhliche Beziehungsereignis per Boulevardpresse in die Welt entsendete, da schrieb der Twitter-User „Bastian Bielendorfer“: „Laura schenkt dem Wendler einen fetten SUV. Nicht schlimm, jeder kann tun, was er will. Schlimm ist eher, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der zwei geistige Dünnbrettbohrer durch das Ausschlachten des eigenen Lebens genug Geld haben, sich so etwas leisten zu können.“ Damit gibt der Gute die Richtung vor.
Nun sind weder jene Laura noch der Wendler in der gerade laufenden Staffel des Dschungelcamps dabei – das war der Barde bereits 2018 –, aber für viele Teilnehmer der zweiwöchigen Seelenbeschau bei RTL ist der Mechanismus der gleiche: Klammheimlich hat es der Kölner Sender geschafft, sich seine F-Promis über derartig viele selbst hergestellten Reality-Formate zu züchten, dass vom einstigen „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“-Konzept gar nicht mehr viel übrig geblieben ist: Früher wurden echte Stars wie Helmut Berger, Eike Immel oder Costa Cordalis nach Australien geschickt, die zuerst geleistet hatten und dann auch schon mal ordentlich abgestürzt waren. Man durfte ihnen dann zusehen, wie die Helden von einst nun Tierhoden aßen und dabei über ihre verflossene Relevanz sinnierten, was hin und wieder ein wirklich unterhaltsames Hobby-Psychologen-Spektakel gewesen ist.
Aber das ist jetzt alles anders: Die Dschungelgänger von heute sind eigentlich namenlos und haben sich wahlweise durch Heirat oder Mitwirkung in Reality-Formaten ins RTL-Edelformat gemogelt. Eines von jenen, die „Nackt mit Paartanz“, „Angezogen am Strand“ oder „Ausgewandert ins Nirgendwo“ heißen könnten, ohne dass das jemandem auffallen würde: geguckt wird immer.
Danach noch zwei, drei kleine Beiträge über die gescheiterte Beziehung oder ein verstorbenes Haustier – und schon gibt der hauseigene Instagram-Kanal Hunderttausende „Follower“, also Abonnenten des Nichts, her, die gegenüber der Werbeindustrie ein echtes Pfund für passable Monetarisierung sind. Und so dem Wendler – um den Kreis dann auch mal wieder zu schließen – gestern zu einem ziemlich großen Auto von einer ziemlich jungen Frau verholfen haben.
Im Spiegel der Zuschauer sieht sich die Büchner gar nicht
Ausstrahlung hat dieses neue, scheinbar globale Unterhaltungskonzept auf die aktuelle Staffel, in der die Frau eines an Lungenkrebs verstorbenen und aus dem Reality-Format „Goodbye Deutschland“ entwachsenen Ballermann-Sängers, die Daniela Büchner heißt, und eine andere reine Reality-Format-Kandidatin namens Elena Miras („Love Island“) die „Stars“ sind, die sich zuerst gemeinsam und dann doch verfeindet durch die Sendung schafuterten, als gäbe es kein Morgen mehr.
Ihre Selbstdarstellung und allzu bewusste Lebensführung im hergerichteten RTL-Dschungel sind die Vollendung ihrer eigenen Selbstwerdung: Geredet wird nur über sich, den verstorbenen Ehemann oder die dazugehörigen Kinder. Und über ein ziemlich schlecht gelaufenes Leben an der Seite einiger anderer Männer, die entweder auch schon tot sind oder geschlagen haben. Es ist ein Sammelsurium schwieriger Lebensverhältnisse. Aber so geballt daherkommend mitsamt der fast obszönen Eigenvermarktung ist es für RTL auch strahlend schön: Büchner wurde vom Zuschauer ohne Unterlass in jede Dschungelprüfung gewählt, um dem egozentrierten Menschen den Spiegel vorzuhalten. Darin sieht sie sich aber gar nicht: Sie ist dem Zuseher voraus und inszeniert ihr Leben, das ihr allein geblieben ist, als Grundlage für Geschäfte, die dieselben Zuseher auch nach dem Format tatkräftig befeuern werden.
Nur: Für das laufende Format ist damit wenig gewonnen. Es dreht sich nämlich letztlich nur noch um sich selbst: Trash zu Trash. Und alle anderen Bewohner wie etwa der Ex-Boxer Sven Ottke oder die tatsächlich prominente Schauspielerin Sonja Kirchberger erscheinen neben den hocheffizienten Selbstvermarktern wie langweilige und aus der Zeit gefallene Normalos ohne größere Lebensausschläge, die das Interesse der Zuschauer hervorrufen könnten.
Dass denen nur noch die Büchner geblieben ist in einem Format, in dem die Zuschauer herauswählen bis ein Dschungelkönig übrig bleibt, ist nicht überraschend: Der Zuschauer lässt sich gerne lange unterhalten, um es am Ende vorzuziehen, einen der verbliebenen Normalos zum Sieger zu küren. Das könnte Ottke sein oder der RTL-Casting-Sänger Prince Damien. Und der Büchner wird’s herzlich egal sein: Sie mag ihren Karriere-Höhepunkt gerade erlebt haben. Aber abwärts ist es für sie vorher schon aus deutlich geringerer Höhe gegangen.