„Unter allen Umständen“ Russisches Gericht entreißt Friedensnobelpreisträger Memorial den Stammsitz

Wenige Stunden nach Bekanntgabe des diesjährigen Friedensnobelpreises für Memorial hat ein russisches Gericht die Beschlagnahmung der Moskauer Büros angeordnet. Die Menschenrechtsorganisation will ihren Kampf trotzdem fortsetzen.

Irina Scherbakowa steht vor einer Pressekonferenz an der Friedrich Schiller Universität in Jena. Sie ist Mitbegründerin von Memorial.

Foto: dpa/Bodo Schackow

Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete russische Menschenrechtsorganisation Memorial verliert nach ihrer Auflösung nun auch ihren Stammsitz in Moskau. Ein Gericht in der russischen Hauptstadt schlug das Gebäude am Freitag in einem als politisch motiviert kritisierten Verfahren dem russischen Staat zu. Memorial kündigte an, seinen Kampf um die Menschenrechte trotzdem fortzusetzen und den Nobelpreis zu feiern.

Das Nobelkomitee hatte auch dem belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki und dem ukrainischen Center for Civil Liberties die Auszeichnung zugesprochen. „Wir sind dem Nobelkomitee dankbar für diese ehrenvolle Auszeichnung“, teilte Memorial am Abend nach stundenlangem Ringen mit der Justiz um seinen Stammsitz mit. Die Justiz hatte die Organisation im vergangenen Jahr aufgelöst.

Die Arbeit solle trotz des Drucks der Behörden „unter allen Umständen“ weitergehen – nach dem Vorbild von Gründungsvater Andrej Sacharow, teilte Memorial weiter mit. Der Physiker Sacharow, auch bekannt als Erfinder der sowjetischen Wasserstoffbombe, hatte den Friedensnobelpreis 1975 erhalten.

„Idee und Mission von Memorial sind Menschen, Geschichte, Hilfe für die Opfer von Repressionen, der Kampf gegen staatliche Gewalt“, hieß es weiter in der Stellungnahme. „Memorial – das ist ein Netz, das sind Menschen, das ist eine Bewegung.“ Die Arbeit laufe in Russland und in der Ukraine sowie in anderen Ländern. Memorial erfahre aktuell wie andere russische Bürgerrechtsorganisationen auch „starken Druck“. „Aber es ist nicht möglich, Erinnerung und Freiheit zu verbieten.“

Dabei denke Memorial an den in Belarus inhaftierten Bjaljazki sowie andere politische Gefangene in dem Land und an die in der Ukraine unter Bedingungen des russischen Angriffskrieges arbeitenden Kollegen. Der Friedensnobelpreis komme in einer Zeit, in der Russland einen Eroberungskrieg in der Ukraine führe und im eigenen Land Rechte und Freiheiten zerstöre. Das sei eine Gefahr für die Welt.

(dpa)