Possen als Schutzpanzer Samuel Finzi brilliert bei Salzburger Festspielen
Salzburg (dpa) - Der Abend beginnt harmlos. Dov Grinstein, ein abgetakelter Stand-up-Comedian, gibt seine Abschiedsvorstellung. Das Publikum eines israelischen Provinzkaffs erhofft sich Ablenkung vom spannungsgeladenen Alltag.
Es ist Grinsteins Geburtstag und der Comedian reißt seine anzüglichen bis zynischen Witzchen, auf Kosten der Frauen, der jüdisch-orthodoxen Siedler und der Araber und sogar der Holocaust-Opfer, jeder bekommt sein Fett ab. Grinsteins Publikum ist auch das Publikum der Salzburger Festspiele der Neuinszenierung einer Bühnenadaption von David Grossmans Erfolgsroman „Kommt ein Pferd in die Bar“. Das Stück hatte am Mittwochabend in der Off-Spielstätte „republic“ Premiere. Abermals ein großer Abend dieser bemerkenswerten Festspielsaison.
Grinstein (Samuel Finzi) steht vor einer Bretterwand, beinahe das einzige Requisit ist eine Handkamera, mit der er sich selbst filmt. Die Bilder sind dann auf der Wand, später auf dem rohen Bühnenhintergrund zu sehen. Das Publikum von Nentanja/Salzburg lacht und macht bereitwillig mit. Grinstein/Finzi lässt sogar eine Wodkaflasche herumgehen, aus der er sich zuvor selbst bedient hat: Echter Wodka, kein Bühnenwasser. Dann beginnt der Abend zu kippen. Spätestens, als Grinstein sich in einem auto-aggressiven Akt den Kopf gegen die Bretterwand schlägt, steht da kein Comedian mehr, sondern ein offensichtlich schwer an sich und der Welt leidender Mensch, der einem zunehmend konsternierten Publikum sein Innerstes öffnet.
Grinstein berichtet von seinem „persönlichen Tschernobyl“, dem Trauma seiner Kindheit, auf dem das Grauen der Shoa lastet, der Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis. Der Vater überlebt den Holocaust, weil er rechtzeitig nach Palästina emigrieren kann; die Mutter wird von polnischen Eisenbahnern in einem Deportationszug versteckt und entgeht der Gaskammer. Doch sie wird zum Opfer ihrer Retter, die sie über Wochen in ihrem Versteck missbrauchen. Ihr Trauma und die Scham, als einzige ihrer Familie überlebt zu haben, vergiften das Leben der kleinen, wenig begüterten Familie.
Schon als Kind versucht Dov, seine Mutter mit seinen Possen und Witzchen aufzuheitern, was der Vater missbilligt, der den träumerischen Sohn zu einem strammen Soldaten im Kampf gegen die Araber erziehen will. Später macht er aus der Not eine Tugend und wird zum bezahlten Possenreißer, der dürftige Humor ist sein Schutzpanzer. Doch an diesem, seinem letzten Abend will er Rechenschaft ablegen und nimmt sein ahnungsloses Publikum als Geisel. Höhepunkt seiner Lebensbeichte ist die Fahrt aus einem paramilitärischen Jugendcamp zur Beerdigung seiner unerwartet gestorbenen, geliebten Mutter.
Finzi erzählt das in einem sich steigernden Stakkato, dabei dreht er sich auf der gegenläufig sich bewegenden Bühne, die Handkamera aufs eigene Gesicht gerichtet, um die eigene Achse, dass einem schwindelig wird. Der Junge weiß noch nichts von der Katastrophe und der wissende Fahrer erzählt Witze am laufenden Band, um dem Jungen nicht die Wahrheit sagen zu müssen: Kommt ein Pferd in die Bar…
Einzige Mitspielerin in diesem fast dreistündigen Zweipersonenstück ohne Pause ist Pitz, eine Nachbarin aus Kindertagen, die im Publikum seiner Abschiedsshow sitzt. Die kleinwüchsige Frau war, wie er, eine verlachte und gemobbte Außenseiterin, erkannte aber in Dov immer den „guten Jungen“. Die beiden kommen sich näher, je weiter der Abend voranschreitet: vielleicht doch so etwas wie ein Happy end.
Riesenapplaus für den furiosen Samuel Finzi, Mavie Hörbiger als Pitz, Regisseur Dusan David Parizek sowie den Autor, der etwas schüchtern die Ovationen des Publikums von Netanja/Salzburg entgegennimmt. 2010 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt als Schriftsteller, der sich „aktiv für die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt“. Im Libanonkrieg 2006 verlor er einen Sohn.