Schweinegrippe: Neun Tote in Deutschland - Impfappell
Stuttgart/Köln. In Deutschland sind bislang neun Todesfälle im Zusammenhang mit der Schweinegrippe bekanntgeworden. Allein am Mittwoch meldeten Kliniken und Behörden drei weitere Fälle.
In Berlin starb nach Auskunft der Gesundheitsverwaltung ein 40 Jahre alter Mann, der mit dem neuen Virus H1N1 infiziert gewesen war.
Der Mann sei vor rund einer Woche wegen einer Lungenentzündung in eine Klinik gekommen und am Montag überraschend an Herz-Kreislaufversagen gestorben, teilte die Verwaltung am Mittwoch mit. Eine Obduktion soll klären, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Tod des Patienten und dem H1N1-Infektion gibt.
Am Klinikum Stuttgart war eine 52-Jahre alte Frau, die mit dem H1N1-Virus infiziert war, gestorben. Sie hatte eine chronische Vorerkrankung. Im Heidelberger Universitätsklinikum war schon am Sonntag ein 28-Jähriger gestorben, der an Schweinegrippe erkrankt war.
Nach Klinikangaben vom Mittwoch litt der Patient aus Rheinland- Pfalz unter schwersten Erkrankungen an Leber und Niere und war auf der Warteliste für eine Organtransplantation. Unklar blieb auch bei dem 28-Jährigen, ob die H1N1-Infektion letztlich den Tod verursacht hat.
Unterdessen rief der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) dazu auf, umgehend auch alle Kleinkinder gegen Schweinegrippe impfen zu lassen. Ab einem Alter von sechs Monaten sollten alle Kleinkinder immunisiert werden, riet der Verband in Köln - entgegen seiner bisherigen Empfehlung, erst Kinder ab drei Jahren zu impfen.
In allen Altersgruppen hätten die Erkrankungen zugenommen, begründete der Verband seine geänderte Haltung. Zuverlässige Studiendaten aus anderen europäischen Ländern zeigten inzwischen, dass auch sehr kleine Kinder die Impfung ohne schwerwiegende Probleme vertragen könnten. Nur Kinder, die eine Hühnereiweiß-Allergie haben, sollten nicht geimpft werden.
Der Impfstoff Pandemrix wird in Hühnereiern hergestellt. "Mittlerweile stehen wir mit dem Rücken zur Wand. Die Grippewelle rollt", sagte Verbandspräsident Wolfram Hartmann dem Sender MDR Info. Er selbst habe in seiner Praxis in Westfalen am Dienstag 15 Kinder mit Schweinegrippe gehabt. Ärzte hätten die Erfahrung gemacht, dass Kinder "teilweise doch ernsthaft erkrankt sind".
Gerade für sehr junge Kinder gebe es keine ordentlichen Behandlungsmöglichkeiten, die beiden Grippemittel Tamiflu und Relenza seien für sie nicht zugelassen. Vorrangig geimpft werden sollten Hartmann zufolge Kinder, die ein chronisches Leiden wie Asthma, Stoffwechselerkrankungen oder Herzfehler haben. Zugleich forderte sein Verband aber erneut einen Impfstoff ohne Wirkstoffverstärker (Adjuvans).
Nach Überzeugung des Rostocker Tropenmediziners Emil Reisinger wird die negative Haltung der Deutschen gegenüber der Schweinegrippe- Impfung schnell nachlassen. "Es wird kälter und es werden vermehrt Erkrankungsfälle auftreten", erläuterte Reisinger. Dann werde es leider auch vermehrt zu Todesfällen kommen.
Dadurch würden sich auch mehr Menschen impfen lassen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf hatte am Dienstag ihr Unbehagen über die Impfmüdigkeit in vielen Ländern geäußert. Es bereite Sorge, wenn Menschen, die Zugang zu Impfstoffen haben, dieses Angebot nicht nutzten. Internationale Gesundheitsexperten sorgen sich derweil um den Erfolg der Impfkampagne, weil schwere Erkrankungen fälschlich als Nebenwirkungen der Schweinegrippe-Impfung angesehen werden könnten.
Die Präsidentin des Schweizerischen Impfkomitees, Claire-Anne Siegrist, sagte der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit", sie sei nicht im Mindesten besorgt wegen der tatsächlichen Nebenwirkungen der Impfstoffe. Jedoch sei sie geradezu "in Panik wegen allem, was den neuen wirkverstärkten Impfstoffen angehängt werden wird".
Siegrist mahnt gemeinsam mit Kollegen aus der ganzen Welt im Fachjournal "The Lancet", unerklärliche schwere Erkrankungen kämen in einer ausreichend großen Bevölkerungsgruppe immer wieder vor. Das gelte auch für Geimpfte, ohne dass der Impfstoff damit irgendetwas zu tun haben müsse. Dies müsse bei der Beurteilung potenzieller Nebenwirkungen eines Impfstoffs bedacht werden.