Vorzeitige Bescherung Spanische Weihnachtslotterie schüttet Milliarden aus
Madrid (dpa) - Luz María konnte die Freudentränen kaum unterdrücken. „Ich möchte am liebsten die ganze Welt umarmen“, stammelte die arbeitslose Frau in Madrid vor laufenden Fernsehkameras.
Die fünffache Mutter ist eine von Dutzenden ärmerer und notleidender Menschen, die sich den fetten Hauptgewinn der spanischen Weihnachts-Megalotterie teilen dürfen. „El Gordo“, der Dicke, wie der Hauptpreis genannt wird, entfiel am Donnerstag auf die Lose mit der Nummer 66 513, die alle von einer einzigen Lottostelle im Madrider Arbeiterviertel Arganzuela im ärmeren Süden der Hauptstadt verkauft wurden.
Viele der Gewinner versammelten sich unmittelbar nach der Ziehung vor der Lottostelle, die - nomen est omen - am Paseo de la Esperanza, der „Promenade der Hoffnung“, nahe dem Hauptbahnhof Atocha liegt. Fremde fielen sich in die Arme, Sektkorken knallten, es wurden gelacht und geheult, gesungen und getanzt. Man hatte allen Grund dazu: Für ein ganzes Los beträgt der Hauptgewinn vier Millionen Euro. Jede Losnummer wird aber 160 Mal verkauft. Der „Geldregen“ über Arganzuela belief sich somit insgesamt auf 640 Millionen Euro - abzüglich knapp 20 Prozent an Steuern.
Luz María hatte zusammen mit ihrer ebenfalls arbeitslosen Mutter Dominga für je 20 Euro drei Zehntellose erworben - die nun einen Gewinn von 1,2 Millionen abwerfen. „Das Geld haben wir uns vom Mund abgespart. Aber jetzt fliegen wir erstmal alle in die Dominikanische Republik, die Familie besuchen“, sagte Luz dem Fernsehsender „RTVE“. „Wir hatten das bitter nötig“, sagte unterdessen eine andere Gewinnerin. Neben ihr feierte eine Rentnerin mit Sonnenbrille, die den zahlreich erschienen Journalisten mit erhobenem Zeigefinger verriet: „Ich habe Diabetes, aber heute gibt es leckeren Eintopf.“
Doch nicht nur in Madrid wurde zwei Tage vor Heiligabend vorzeitige Bescherung gefeiert. Die 1812 ins Leben gerufene älteste und auch größte Tombola der Welt, die nicht einmal während des Bürgerkriegs zwischen 1936 und 1939 ausfiel, schüttete diesmal in vielen Regionen Spaniens insgesamt gut 2,3 Milliarden Euro aus. Im Badeort San Pedro de Pinatar in der östlichen Provinz Murcia feierten Gewinner, Angehörige, Freunde und Schaulustige mit einer Riesenpaella. Glücksspiel und Gastronomie passen offenbar zusammen. In Madrid verteilte ein Lottostellenbetreiber etwa Schinken und Oliven.
Es gab viele echte Weihnachtsmärchen, denn „El Gordo“ ließ soziale Gerechtigkeit walten. Unter den Gewinnern, die vor den TV-Kameras defilierten, gab es nämlich auffällig viele ärmere Menschen. „Die nicht gezahlten Raten für die Wohnung begleichen“, lautete sehr oft die Antwort auf die Frage, was man mit dem Gewinn denn machen wolle.
Obwohl die Chancen, den „Gordo“ zu erwischen, bei 1:100 000 liegen, nehmen acht von zehn Spaniern an der „Lotería de Navidad“ teil. Dabei sei es „Tausende Male wahrscheinlicher, bei einem Unfall ums Leben zu kommen“, als den Hauptpreis zu holen, schrieb die Zeitung „El País“ verwundert. Soziologe José Antonio Gómez Yáñez hat aber eine Erklärung: „Es geht um Neidvorbeugung“. Niemand wolle der einzige in der Gruppe sein, der bei einem Gewinn nicht dabei ist.
Im Büro wird man schon mal schief angeguckt und als eine Art Sonderling betrachtet, wenn man sich der Tippgemeinschaft nicht anschließt. Auch Kneipenfreunde, Nachbarn, ganze Familien und sogar ganze Dörfer bezahlen und bangen zusammen. Jeder Teilnehmer gibt im Schnitt 50 bis 60 Euro aus. Die Ziehung der Glückszahlen legt dann das ganze Land lahm. Die vierstündige Zeremonie im Madrider Teatro Real, bei der Schüler des Internats San Ildefonso die gezogenen Nummern und die jeweilige Gewinnhöhe singend vorgetragen, wurde erneut von Millionen live vor den TV-Schirmen verfolgt.
Dieses Mal war es um Punkt 11.57 Uhr soweit: Nach mehreren größeren und kleineren Preisen rutschten endlich die Holzkügelchen mit dem Hauptgewinn aus einer der beiden Trommeln. Erstmals nach 204 Jahren entfiel „El Gordo“ dabei auf eine Losnummer mit der Endziffer 13. Die Schülerinnen Lorena (13) und Nicol (11) sangen so laut wie nie, der Saal im Opernhaus tobte und Luz Maria fiel (wie sicher auch viele weitere Gewinner) vor dem Fernseher „fast in Ohnmacht“.
Jubeln darf man aber eigentlich erst, wenn das Geld auf der Bank ist. Auf den Straßen werden nämlich oft gefälschte Lose feilgeboten - und gekauft. Ein ganz böses Erwachen gab es 1986 in Palencia: Der Verwalter eines Altenheimes hatte damals unter den Rentnern Lose verkauft, die er nicht besaß. Womit Jacinto Sánchez nicht gerechnet hatte: Die Nummer wurde als Hauptgewinn gezogen. Der Verwalter wurde zunächst jubelnd auf Händen getragen. Als die Menschen vom Betrug Wind bekamen, stellte er sich aber lieber schnell der Polizei.