Studie: Migranten nicht gewalttätiger als deutsche Jugendliche

Einmal Verbrecher - immer Verbrecher? Falsch, sagen Wissenschaftler. Die meisten jugendlichen Straftäter finden Weg in die Normalität. Eine Langzeitstudie räumt gleich mehrere Klischees ab.

Symbolfoto.

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Düsseldorf (dpa). Das Vorurteil „Einmal Verbrecher - immer Verbrecher“ trifft einer Langzeitstudie zufolge auf jugendliche Intensivtäter nicht zu. Auch Schüler, die mehrfach durch Straftaten aufgefallen sind, finden an der Schwelle zum Erwachsenwerden meist den Weg in die Normalität. Das ist ein Ergebnis einer Untersuchung, die nach Darstellung der Autoren die erste deutsche Langzeitstudie zur Jugendkriminalität ist. „Selbst Intensivtäter steigen aus“, sagte der Münsteraner Kriminologe Prof. Klaus Boers am Donnerstag in Düsseldorf. Die Resultate widerlegten gängige Vorurteile. Dazu gehöre unter anderem die Erkenntnis, dass Migranten nicht häufiger an Gewaltdelikten beteiligt seien als einheimische Jugendliche.

Seit dem Jahr 2002 werden über 3400 Duisburger regelmäßig zur Entwicklung ihres Strafverhaltens befragt - zu Beginn waren sie durchschnittlich 13 Jahre alt. Nach Angaben der Wissenschaftler ist die Langzeitstudie repräsentativ für deutsche Großstädte.

Die meisten Jugendlichen begehen demnach bis zu ihrem 18. Lebensjahr mindestens eine Straftat - zumeist Ladendiebstahl. 84 Prozent der Jungen und 69 Prozent der Mädchen gaben in der anonymen Befragung zu, schon einmal ein Delikt verübt zu haben. „Das Meiste regelt sich von selbst - ohne Eingriffe durch Polizei oder Justiz“, berichtete Boers. „Durch Ausloten und Überschreiten von Grenzen wird gelernt, was erlaubt und was verboten ist“, erläuterte der Kriminologe.

Problematisch sei allenfalls eine kleine Gruppe von Intensivtätern, die mindestens fünf Gewaltdelikte pro Jahr begehen - im 14. bis 15. Lebensjahr etwa sechs Prozent. Sie haben die Hälfte aller Taten und über drei Viertel aller Gewaltdelikte auf dem Kerbholz.

Anders als oft behauptet, fänden aber die meisten doch noch den Pfad der Tugend - wenn auch etwas später. Wichtig sei dabei eine feste Beziehung mit einem gesellschaftskonformen Partner und ein stabiles Arbeitsverhältnis. „Also nicht Türsteher oder ein Mädchen aus dem Milieu“, erläuterte der Kriminologe. Schulen hätten keinen großen Einfluss auf Intensivtäter. Sie müssten das Thema Kriminalprävention aber insgesamt zu ihrem Thema machen, forderte der Wissenschaftler.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Türkische Migranten sind nicht häufiger an Gewaltdelikten beteiligt als deutsche Jugendliche. „Das hat uns selbst überrascht“, räumte Boers ein. Zahlreiche Studien vor allem der 90er Jahre seien zu anderen Ergebnissen gekommen.

Zwei Faktoren wirkten sich besonders positiv aus, berichtete Boers: In Duisburg gebe es zahlreiche Gesamtschulen, die türkischen Zuwandererkindern „eine echte Bildungschance geben“. In der Sekundarstufe II unterscheide sich der Anteil von Deutschen und Türken kaum. Einzige Auffälligkeit: „Die Deutschen sind im Gymnasium, die türkischen Jugendlichen in der Gesamtschule.“

Jugendliche mit ausländischen Wurzeln folgten eher traditionellen Werten. „Vor allem ist ihr Alkoholkonsum geringer.“ Der spiele wiederum eine große Rolle bei Gewalttaten. Am weitaus unauffälligsten verhielten sich türkische Mädchen.

Insgesamt gaben in den Befragungen über ein Drittel der Mädchen und fast zwei Drittel der Jungen zu, schon einmal ein Gewaltdelikt begangen zu haben. Dazu zählten Körperverletzung mit und ohne Waffen sowie Raub - unter anderem Handtaschenraub und „Abziehen“ von Opfern. Soziale Herkunft, Armut oder Jugendarbeitslosigkeit machten dabei keinen großen Unterschied, berichtete Boers.

Er ist aber überzeugt: „Gewaltfilme und Gewaltspiele sind nicht wirkungslos.“ Auch die Duisburger Jugendlichen verbrachten viel Zeit damit. Zwar lasse sich zwischen Medienkonsum und Gewalt kein direkter Zusammenhang belegen. Es gebe aber ernst zu nehmende indirekte Wirkungen, warnte der Kriminologe. „Wer oft Gewaltfilme sieht oder Gewaltspiele spielt, befürwortet deutlich häufiger Gewalt.“ Wer Gewalt als normal oder als Spaßfaktor ansehe, greife auch häufiger dazu.

Die Langzeituntersuchung habe außerdem ergeben: „Strafen schrecken nicht ab.“ Zwar könne nicht gänzlich darauf verzichtet werden. Als Faustregel gelte aber: „Weniger ist mehr. Je härter die Strafe, desto höher das Rückfallrisiko. Erziehungsmaßnahmen vor Arrest und Freiheitsstrafe.“