Stuttgart würdigt Dieter Roth posthum

Stuttgart (dpa) - Was will uns Dieter Roth damit sagen? Ein ganzes Stockwerk im Stuttgarter Kunstmuseum ist vollgestellt mit zugemüllten Tischen und Regalen. Mittendrin laufen Filmprojektoren, Radios, Kühlschränke.

Foto: dpa

„Große Tischruine“ heißt die monumentale Rauminstallation, mit dem der 1998 gestorbene Schweizer 2002 posthum auf der Documenta 11 in Kassel vertreten war. Für die einen ist es Chaos, für die anderen große Kunst. „Sichtbar wird hier Roths Faszination für das Nicht-Fassbare, eine kindliche Freude am Entgleitenden und Abfallendem“, hieß es beim Kunstmuseum.

Foto: dpa

Roths Thema sei immer wieder „die prinzipielle Unabschließbarkeit des Werksprozesses“ gewesen. Folgerichtig ist die „Große Tischruine“ auch nie fertig. Von Aufbau zu Aufbau verändert sie sich, wird ergänzt und lebt so quasi weiter. Ausgangspunkt dafür war 1978 in Stuttgart und ein einzelner Ateliertisch des Künstlers. Nach Roths Tod wurde die Installation von seinem Sohn Björn weitergeführt. In Stuttgart wurde sie unter Regie von Enkel Oddur innerhalb von acht Tagen errichtet. Wer in den vollen Genuss kommen möchte, sollte um 14 Uhr kommen. Dann werden für 45 Minuten die Filmprojektoren eingeschaltet.

Foto: dpa

Roths Auffassung, dass ein Kunstwerk niemals zu seiner endgültigen Gestalt findet, ist auch in der Etage darunter eindrucksvoll dokumentiert. Joseph Beuys (1921-1986) gleich begann Roth in den 60er Jahren, mit verderblichen Materialien wie Käse oder Joghurt zu experimentieren. Für das Bild „Käserennen“ etwa heftete Roth verschiedene Käsesorten auf eine Kunststoffplatte und hängte sie an die Wand. Auch formte er 1972 aus Exkrementen von Hasen, Erde und Stroh das „Karnickelköttelkarnickel“, den „Scheißhasen“.

Foto: dpa

Der 1930 geborene Roth gilt als Alleskünstler, laut Beckstette wurde sein Werk aber maßgeblich aus der Arbeit im und am Buch sowie über die Sprache entwickelt. Der Titel „Balle Balle Knalle“ stammt aus einem Gedicht des deutsch-schweizer Künstlers. Nach Angaben von Museumsdirektorin Ulrike Groos ist es eine Verballhornung des Kinderlieds „Backe, backe Kuchen“ und steht für Roths Sprachspiele.

Die Ausstellung umfasst 160 Exponate. Darunter die Vorzugsausgabe seiner „Poetrie“-Reihe: die Seiten sind auf Stanniolbeutel gedruckt, die mit Hammelkoteletts, Sauerkraut, Würstchen und Käse gefüllt waren. Oder seine Literaturwürste. Roth weichte Zeitschriften und Bücher ein, würzte sich nach allen Regeln der Fleischerkunst und stopfte sie in Naturdärme. „Scheiße-Gedichte“ sind dabei, „Gummibandbilder“ und ein Video-Tagebuch auf 131 Monitoren.

Maler, Dichter, Verleger, Grafikdesigner, Drucker, Musiker und Filmemacher - Roth gilt als Universalgenie, als vielleicht vielseitigster Künstler seiner Generation. Er habe sich aber selbst hauptsächlich als Schriftsteller von Gedichten, Aphorismen, Essays, Notizen und Tagebucheinträge verstanden, so Beckstette. Seine bildkünstlerischen Arbeiten betrachtete er als Mittel zum Zweck - um Geld zu verdienen, wie er selbst sagte. Roth veröffentlichte weit über 500 Bücher, viele selbst gestaltet, teils am Kopierer hergestellt und verlegt. Auf die Frage, ob er Bücher oder Objekte bevorzuge, soll er mal gesagt haben: „Die Bücher. Da kann ich mich ausweinen, da kann ich schimpfen.“