Traumwelten des Unbewussten Surrealisten in Hamburg: Dalí, Magritte und Ernst
Hamburg (dpa) - Weltbekannte Ikonen wie das Mae-West-Lippensofa (1938) und ein vier Meter großer Paravent des jungen Salvador Dalí, geheimnisvolle Bildrätsel von René Magritte wie „Reproduktion verboten“ (1937), poetische Formfindungen von Joan Miró und zukunftsweisende bildnerische Experimente von Max Ernst.
Unter dem Titel „Surreale Begegnungen“ präsentiert die Hamburger Kunsthalle vom 7. Oktober bis zum 22. Januar mehr als 200 teils nie gereiste Meisterwerke des Surrealismus aus vier der bedeutendsten europäischen Privatsammlungen des 20. Jahrhunderts. „Die Ausstellung verführt den Betrachter in die Traumwelten des Unbewussten“, sagte Kuratorin Annabelle Görgen-Lammers am Donnerstag in Hamburg.
Die gemeinsame Ausstellung der Kunsthalle mit der Scottish National Gallery of Modern Art in Edinburgh und dem Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam zeigt bedeutende Arbeiten der prägenden Kunstströmung des 20. Jahrhunderts, deren Ziel es war, eine übergeordnete Wirklichkeit zu schaffen, die auch das Unbewusste und Traumhafte einschließt. „Die vier, heute teils in alle Welt zerstreuten Sammlungen werden erstmals teilrekonstruiert und miteinander konfrontiert“, sagte Görgen-Lammers. Sie bestärkten und ergänzten sich auf überraschende Weise. Werkgegenüberstellungen zeigten, wie die Sammler die surreale Auffassung des „Wunderbaren“ in ihre Realität, und das „Unheimliche“ in ihr Heim integrierten.
Die erste Sammlung stammt von Roland Penrose (1900-1984). Die Begegnung mit frühen Werken von Max Ernst (1891-1976) wirkte auf den Sohn einer englischen Quäkerfamilie, der 1926 als Maler nach Frankreich kam, wie eine Erweckung. Ernst und er wurden enge Freunde. Nach und nach lernte Penrose alle wichtigen Surrealisten in Frankreich kennen. Mit dem Geld, das er zu Beginn der 1930er Jahre von seinen Eltern erbte, fing er an, befreundete Künstler zu unterstützen, so finanzierte er 1934 Ernsts Collageroman „Une semaine de bonté“ (Eine Woche der Güte) und „La joie de vivre“ (Die Lebensfreude, 1936), eines der Schlüsselwerke des Surrealismus.
Edward James (1907-1984) verstand sich selbst nicht als Sammler, sondern als Dichter und Förderer der Künste. „Surrealismus war für ihn in erster Linie ein Lebensstil, mit dem er gegen die Konventionen anging, in die er als Spross einer reichen anglo-amerikanischen Familie hineingeboren wurde“, sagte Görgen-Lammers. Der Erbe eines Millionenvermögens stand in engem Austausch mit Künstlern wie Dalí und Magritte. Briefe, Zeichnungen und Fotos zeigen, dass er weit über eine bloße finanzielle Förderung hinaus an der Entwicklung vieler Werke beteiligt war. So entwarf Salvador Dalí (1904-1989) das „Hummertelefon“ und das „Mae-West-Lippensofa“ (1938) auf James' Anregung hin für die Wohnräume von seinem Londoner Stadthaus und für seinen Landsitz Monkton House im englischen Sussex.
1937 beauftragte James den belgischen Maler René Magritte (1898-1967), drei große Bilder für den Ballsaal seines Londoner Stadthauses zu malen: „Das rote Modell III“, das ein paar Stiefel, die zu Füßen werden, zeigt, „An der Schwelle zur Freiheit“ und „Die illustrierte Jugend“ mit rätselhaften Symbolen. Außerdem malte Magritte zwei Porträts von James: „Das Lustprinzip“ und „Reproduktion verboten“ (1937), das den Sammler von hinten zeigt, wie er in einen Spiegel schaut - wobei das Spiegelbild paradoxerweise noch einmal seine Rückenansicht zeigt.
Die Schottin Gabrielle Keiller (1908-1996) und das bis heute sammelnde Berliner Ehepaar Ulla und Heiner Pietzsch führen die nachhaltige Verführungskraft des Surrealismus seit den 1960er Jahren vor Augen. Ein Schwerpunkt ihrer Sammlung liegt auf dem Frauenbild der Surrealisten. So malte der Belgier Paul Delvaux rätselhafte, idealisierte nackte Frauenkörper auf traumhaften Plätzen. Neben Meisterwerken von Joan Miró („Mutterschaft“, 1924, und „Kopf eines katalanischen Bauern“, 1925) zeigt die Schau aber auch Gemälde der in Deutschland wenig bekannten Surrealistinnen Leonora Carrington, Dorothea Tanning und Leonor Fini. Sie geben Einblicke in die weibliche Sicht auf das „Wunderbare“.