Taktik Tabubruch - Bushido braucht sein Brutalo-Image
Berlin (dpa) - Gezielte Beleidigung oder ausgeklügeltes Marketing? Mit seinen jüngsten Verbal-Attacken hat der Rapper Bushido wohl eine rote Linie überschritten.
Seine schwulenfeindlichen Ausfälle gegen Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und die Tötungsfantasien gegen Oliver Pocher oder Claudia Roth haben den Rapper wieder in die Schlagzeilen gebracht.
Ob alle Betroffenen wegen des Titels „Stress ohne Grund“ nun Strafantrag stellen, blieb zunächst offen - Wowereit jedenfalls tat dies am Montag. Fest steht: Der 34-Jährige hat es wieder geschafft, dass über ihn gesprochen wird. Damit ist wohl zunächst einmal seine Rechnung aufgegangen.
Dabei war Bushido, der an sich Anis Mohamed Youssef Ferchichi heißt, schon seit Wochen immer wieder in den Medien - allerdings nicht wegen seiner Kunst. Im Mai hatten Fahnder Wohn- und Geschäftsräume des Musikers in Berlin und im Umland wegen des Verdachts einer Steuerstraftat durchsucht.
Bei Deutschlands wohl bekanntestem Rapper ist die Provokation ein Markenzeichen. Ob „Bitches“ oder „Schwuchteln“ - in Sprachbildern voller Gewalt und Rachegelüsten wandelt Bushido immer wieder zwischen Gossen-Lyrik und Ganoven-Sound.
Zu diesem Bild des bösen Jungen passt es aber wohl kaum, dass der Plattenmillionär längst nicht mehr dort lebt, wo seine Songs vermeintlich spielen - statt im Hinterhof in Neukölln hält er sich lieber in einer Villa im Grünen auf.
Als „Frank Sinatra in Jogginghosen“ („Stern“) wird Bushido auch immer wieder hofiert: 2011 wurde er mit dem Integrations-Bambi ausgezeichnet. Davor ließ er sich 2010 mit Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer beim Deutschen Filmpreis in München fotografieren oder wurde im gleichen Jahr vom Magazin „GQ“ zu einem „Mann des Jahres“ gekürt. Im Sommer des vergangenen Jahres machte Bushido ein Praktikum im Büro des CDU-Bundestagsabgeordneten Christian von Stetten.
„Bushido muss sich immer wieder seiner Fan-Basis versichern“, erklärt der Kultursoziologe Marc Dietrich (Universität Mannheim) den jüngsten Tabubruch des Musikers. „Sein Publikum muss bedient werden.“
Grenzüberschreitungen verschaffen Aufmerksamkeit. Mit seinem Kollegen Sido und dem Berliner Label Aggro verpasste Bushido der deutschen Rapper-Szene einen herben Ton. Bald kamen Titel auf den Index, was den Musikern zu noch größerer Öffentlichkeit verhalf.
„Stress ohne Grund“, eine Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Shindy, wurde bereits von YouTube gelöscht, aber das Video lässt sich woanders im Netz leicht auftreiben. Dass sich Schlagersänger Heino für ein Verbot des Lieds stark macht, dürfte Bushido-Fans kaum beeindrucken.
Anders als in den USA, wo sich Rapper wie 50Cent und Jay-Z längst mit Pelz, teuren Autos und viel Blingbling als steinreiche Aufsteiger inszenieren, bestehe in Deutschland bei Fans noch immer der Anspruch, dass zu den „Gangsta-Lyrics“ auch ein „Gangsta-Lifestyle“ passen müsse, erklärt Dietrich.
„Wer über das Straßenleben rappt, der muss eine biografische Fundierung im Milieu haben oder zumindest als glaubwürdiger Augenzeuge bestechen“, schrieb Dietrich, der sich seit Jahren mit der deutschen Rap-Szene beschäftigt, 2012 im Magazin „Spex“.
Bushidos aggressive Texte spiegelten eine „Zerrissenheit“ zwischen realem Leben und marktträchtiger Inszenierung wider. Was im US-Rap der „nigga“ sei, trete in Deutschland als Gangsta-Rapper mit Migrationshintergrund auf. Mittlerweile zeigt sich auch Bushido in Anzug und Krawatte, statt in abgewetzter Streetwear.
Auch der Hamburger Kollegah, der mit seinem Album „Jung, brutal, gutaussehend“ im Februar auf Platz eins in den Charts stand, gibt sich als Gentleman - allerdings mit Zuhälter-Image. Im realen Leben heißt Kollegah Felix Blume und studiert Jura.
Zwar findet auch Marc Dietrich Bushidos Texte zum Teil indiskutabel. Doch der Sozialwissenschaftler zweifelt, dass die Texte auch eins zu eins von Bushido-Zuhörern so verstanden werden. „Bestimmte Wendungen werden anders aufgenommen - das macht sie allerdings nicht besser“, sagt Dietrich. Vielen Fans traue er zu, die radikalen Wortspiele einzuordnen, bei anderen sei er sich nicht so sicher. „Es ist wohl eine Bildungsfrage, wie die Texte ankommen.“