Porträt Taub und blind zugleich - So meistert Margrit Langenbuch den Alltag
Margrit Langenbuch ist taubblind. Mithilfe einer Assistentin findet sie sich zurecht — doch viele andere leiden im Stillen.
Recklinghausen. Wenn die Klingel in Margrit Langenbuchs Wohnung schellt, dann hört sie das nicht. Auch die Signale ihrer Licht-Klingel neben der Tür kann sie nicht mehr sehen. Die 65-Jährige ist taubblind. Von Geburt an gehörlos, ihre Sehkraft hat sich über die Jahre immer mehr verschlechtert. Heute hat sie noch zwei Prozent. Margrit Langenbuch spürt die Klingel aber. Über ein kleines, brummendes Gerät in ihrer Hosentasche.
Freundlich, aber wortlos, begrüßt sie ihre Besucher. Ihr Blick vermag nur deren Umrisse zu erfassen. Die Wohnung der 65-Jährigen, die trotz aller Schwierigkeiten mehr als 30 Jahre als Zahntechnikerin gearbeitet hat, ist gemütlich eingerichtet. In einer Vitrine sitzen Teddybären neben lächelnden Puppen. Mit der Welt außerhalb ihrer Wohnung kann sie nur mit Hilfe anderer in Kontakt treten.
Taubblindenassistentin Claudia Preißner, die auch als Dozentin für das Taubblindenassistenz- Projekt in Recklinghausen arbeitet, hilft ihr seit fast fünf Jahren und ist eine Übersetzerin in Gesprächssituationen. Früher ging das mit Gebärdensprache, die Zeichen kann Langenbuch aber nicht mehr erkennen. Heute tippt Preißner Fragen über die Laptoptastatur ein. Eine Zeile ist dann so groß wie ein Viertel des Bildschirms. Das kann die 65-Jährige noch lesen. Langenbuchs schwer zu verstehenden Aussagen übersetzt die Assistentin simultan.
Langenbuch ist mit sechs Jahren an die Gehörlosenschule in Dortmund gekommen, dort hat sie sprechen gelernt. Da sie nie gehört hat, wie ein Wort richtig ausgesprochen wird, können ihr nur geübte Ohren folgen.
Ihr Lebenspartner ist vor einem halben Jahr gestorben, nun muss sie sich neu orientieren. „Er hat für mich gesehen“, sagt Langenbuch über den ebenfalls Gehörlosen. Sie waren 22 Jahre zusammen, kannten sich aber 40 Jahre lang.
Auch Langenbuchs Hände sind stark zurückgebildet. Sie kann härtere Lebensmittel, Zwiebeln oder Möhren, nicht alleine schneiden. Und dabei probiert sie gerne neuen Rezepte aus. Ihre Hände haben sich in der Jugend stark verändert. Damals hatte sie eine Infektion, nahm Antibiotika, die sie nicht vertrug, und ging zu früh zurück an die Arbeit. Trotz Operationen und künstlicher Gelenke bildeten die Hände sich zurück. Und doch übte sie ihren Beruf weiter aus, bis sie 50 war. Dann machten die Hände nicht mehr mit.
Ihre Sehbehinderung wurde früh festgestellt. Ein Klassenlehrer bemerkte, dass das gehörlose Mädchen immer öfter Sachen übersah und stolperte. Diagnose: Röhrensichtigkeit. Als schaue man durch ein Schlüsselloch, erklärt Preißner. Und die Sehkraft verschlechterte sich langsam, aber stetig.
Was, wenn sie irgendwann gar nichts mehr sieht? „Davor habe ich keine Angst, nur ein etwas mulmiges Gefühl“, sagt Langenbuch. Noch kann sie die Uhrzeit auf dem übergroßen Wecker lesen. Taubblinde, die überhaupt nichts mehr sehen können, kommunizieren über ein Handflächen-Alphabet, bei dem Buchstaben mit dem Finger in die Hand gemalt werden. Oder sie können die Braille- Schrift lesen. Das kommt für Langenbuch wegen ihrer Hände nicht in Frage.
Viel zu wenige Menschen wüssten überhaupt etwas von der Behinderung Taubblindheit, sagt die 65-Jährige. Ein Umstand, gegen den Irmgard Reichstein seit bald sieben Jahren kämpft. Sie ist Gründerin und Vorsitzende der Stiftung „Taubblind leben“ in Köln. „Dass diese Behinderung zu unbekannt ist, hat schlimme Folgen für viele Betroffene“, sagt sie. Ein Drittel der Taubblinden in NRW kämpfe nach ihrer Erfahrung im Stillen gegen die Erkrankung an, schaffe noch irgendwie den Job. Oft merkten Kollegen kaum etwas. Wieder ein Drittel gehe aktiv mit der Behinderung um, gehe zu Treffen.
„Und dann gibt es noch Taubblinde, die in den völlig falschen Einrichtungen stecken. Manche bleiben ein Leben lang unter ihren Möglichkeiten“, sagt Reichstein. Das geschehe etwa in Seniorenheimen, Einrichtungen für geistig Behinderte oder Psychiatrien. Oft erhalte sie Hinweise von Seelsorgern oder Mitarbeitern einer Einrichtung. Anonym — sie fürchteten um ihre Jobs, da sie ja eigentlich der Verschwiegenheit unterliegen. Nur selten käme man an die Einrichtungen heran. Wenn sie dicht machten, gäbe es keine Chance, die Taubblinden zu erreichen.
Über ihre Krankheit ist Margrit Langenbuch nicht traurig. Sie liest gerne, derzeit ein Buch über das Weltall von Stephen Hawking. Mit Vergrößerung, natürlich. Nur eines wünscht sie sich manchmal doch: Musik hören zu können.