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Tischsitten im Königreich: Glotze an, das Essen ist fertig

Dem Esstisch droht im Königreich ein stiller Tod: Zwei Drittel aller Mahlzeiten schlingen die Briten vor dem Fernseher hinunter.

London. Die Queen beschäftigt eine ganze Armada flinker Diener, die das Porzellankabinett hütet und bei Staatsbanketten mit dem Lineal die Position der Teller auf der Tafel vermisst. Dann werden die Kronleuchter angeknipst, die Tiara funkelt, Regierungschefs falten die gestärkten Servietten auf. Glanzpunkte angelsächsischer Tischkultur sind das. Im Fernsehen können die Briten das Spektakel mitverfolgen. Sie müssen nur kurz die Ketchup-Flasche auf dem Wohnzimmer-Tisch beiseite rücken und schauen, dass sie pünktlich zum Bankettauftakt ihr klägliches Fertiggericht aus dem Ofen holen.

So sieht sie in Wahrheit aus, die Dinner-Kultur jenseits der Palastmauern. Sechs von zehn Mahlzeiten werden im Königreich schon nicht mehr bei Tisch, sondern vor der Glotze gegessen. Der Esstisch, früher Herz eines jeden Haushaltes, steht heute in Großbritannien verwaist herum.

In vielen Neubau-Wohnungen existiert er sogar schon nicht mehr: Wohnzimmer und Küchen sind so klein, dass für den vierbeinigen Gesellen einfach Platz fehlt. Einsam fühlen sich übrigens auch die Bewohner: Mit gestiegener Zahl der Single-Haushalte ist das Abendessen vor der Flimmerkiste eben auch das — eine Solo-Routine ohne große Alternative.

Der Wandel fordert noch ein zweites Opfer, nämlich das gepflegte Tischgespräch. Ein Drittel der Briten vertilgt das Essen vor der Mattscheibe schweigend. Und träumt irgendwie doch von mehr Ambiente: Die Mehrheit der Kulinarik-Banausen fände ein Essen bei Tisch theoretisch schon schöner. Allein das Leben kommt immer dazwischen. Unterschiedliche Arbeitszeiten, Hobbys der Kinder, Wochenendschichten — da findet sich auch in Familien oft niemand zum gemeinsamen Dinner.

Nach außen hin muss der Anschein zivilisierter Tischmanieren trotzdem gewahrt bleiben: Ein Sechstel der Befragten gibt zu, Kollegen oder Freunde schon mal belogen und ihnen die schlechte Essgewohnheit verschwiegen zu haben.

In Auftrag gegeben wurde die Studie von der Lebensmittelindustrie. Das Ergebnis dürfte auch der Branche selbst nicht schmecken: So praktisch Fernseh-Fertiggerichte in ihren vorgeformten Plastik-Tabletts daherkommen, so unappetitlich schneiden sie ab. Jeder Zweite findet sie ganz und gar nicht schmackhaft. Mit echten Gourmet-Produkten für die Mikrowelle will die Industrie nun nachlegen. Dann können die Briten auch endlich ohne schlechtes Gewissen den TV-Koch Jamie Oliver zum Dinner dazu schalten.