„Riegel Rudi“ Trainer-Legende Rudi Gutendorf mit 93 Jahren gestorben

Düsseldorf · Obwohl Rudi Gutendorf schon 93 Jahre alt war, hätte man eher als die Nachricht von seinem Tod eine andere von ihm erwartet. Vielleicht die von der Übernahme seiner 56. Trainerstelle, irgendwo am Ende der Welt.

Fußball-Trainerlegende Rudi Gutendorf (Archivbild)

Foto: dpa/Thomas Frey

Obwohl Rudi Gutendorf schon 93 Jahre alt war, hätte man eher als die Nachricht von seinem Tod eine andere von ihm erwartet. Vielleicht die von der Übernahme seiner 56. Trainerstelle, irgendwo am Ende der Welt. Oder die, dass er einem siechen Traditionsclub öffentlichkeitswirksam seine Hilfe angeboten hat. Denkbar auch die Kunde von der Hochzeit mit einem jungen Fotomodell. Doch nun ist er tot, der bunte Hund, ein Abenteurer der Neuzeit, ein Freigeist des Fußballs.

„Ich bin ein bunter Hund“ – so hieß das erste von vier Büchern, in denen er aus seinem Leben erzählt hat. „In mir strömen Übermut und Lebensfreude bis zum Wahnwitz. Ich spiele mit meinem Leben als hätte ich ein zweites auf der Ersatzbank“, hat er sich darin selbst beschrieben.

Der gebürtige Koblenzer war eine schillernde Figur, ein rastloser, optimistischer und von sich überzeugter Fußballtrainer. Zwischen 1955 und 2003 heuerte er bei 23 Vereinen und 33 Verbänden rund um den Globus an; er trainierte auf allen fünf Kontinenten, wechselte von Fortuna Köln nach Trinidad-Tobago, von den Bermudas ging es nach Schalke, zwischen Jobs als Entwicklungshelfer in Nepal und auf den Fidschi-Inseln kümmerte er sich um Hertha BSC.

Seinen ersten Bundesligavertrag unterschrieb er 1963 mit 37 Jahren beim Meidericher SV – auf der Speisekarte des Restaurants, in dem der redegewandte Gutendorf den Vorstand des als Abstiegskandidat Nummer 1 gehandelten Clubs von sich überzeugt hatte. Als er eine Prämie für die Meisterschaft und den zweiten Platz aushandelte, hielten sie ihn für verrückt.

Mit dem Roll-System, einer von Gutendorf ausgetüftelten Defensiv-Konter-Taktik, wurde der MSV im ersten Bundesligajahr Zweiter – bis heute die beste Platzierung der Vereinsgeschichte. „Als der Schatzmeister mir den Scheck über 35000 Mark ausstellen musste, fiel er fast in Ohnmacht“, erzählte Gutendorf Jahre später. Sein Spitzname seitdem: Riegel-Rudi.

Am Ende ging er wie bei den meisten Clubs im Krach. Beim Hamburger SV entwarf er mit dem mindestens ebenso extrovertrierten Präsidenten Peter Krohn großspurige Visionen im Sand von Sylt – um sie dann krachend in den Sand zu setzen. Sein Motto blieb: „Lieber ein paar Mal auf die Schnauze fallen als eine graue Maus zu sein.“

Seine Abenteuerlust hatte sich Anfang der sechziger Jahre in Tunesien entfaltet. Der Staatspräsident hatte Gutendorf über das Entwicklungshilfeministerium für seinen Lieblingsclub US Monastir angeheuert. Der Lohn für den Titelgewinn: Ein Staatsorden.

Bares war ihm mindestens ebenso willkommen. Für 50.000 Dollar Gage ließ er sich von der „wilden“ US-Liga locken, die der Weltverband FIFA verboten hatte. Bei den St. Louis Stars führte er das große Wort – nur die konservativen Frauenverbände bändigten ihn und drängten ihn zur Heirat mit seiner Freundin, einem Fotomodell.

Der gebildete Lebemann hatte durchaus Interessen außerhalb des Fußball. Beim TSV München 1860 sagte er die Teilnahme an einer Weihnachtsfeier ab, weil er lieber die Chance auf einen amourösen Erfolg nutzen wollte. In Chile kam er der „Miss Chile“ sehr nahe, und wenn er irgendwo gefeuert wurde lag das, wie er selbst sagte, manchmal auch an „Weibergeschichten“.

Gutendorf war einer der ersten Trainer, die auf dem PR-Klavier spielten. Bei Tennis Borussia Berlin bot er sein goldfarbenes Mercedes Coupé 450 SL zum Verkauf, um vom Erlös Spieler zu kaufen. Auf Schalke schickte er seine Spieler morgens um sechs zum Ausdauerlauf vor die Tore der Zechen, um bei den Kumpels Eindruck zu machen. Einmal ließ er die Trikots im Mittelkreis aufschichten und zündete sie an, um den Fluch der Niederlagenserie im Feuer zu verscheuchen.

Er war schlagfertig und angstfrei, er liebte das Abenteuer und nannte als einen seiner schönsten Momente, als er in Ruanda wenige Jahre nach einem blutigen Bürgerkrieg Spieler der verfeindeten Volksgruppen Tutsi und Hutu in der Nationalmannschaft zusammenführte.

Bis zuletzt meldete sich Rudi auch im deutschen Fußball zu Wort. Als Hertha BSC in den achtziger Jahren einen Trainer suchte, soll er sich auf einer Postkarte von den Fidschi-Inseln beworben haben. Verbrieft ist, dass er 2012 dem MSV Duisburg in alter Verbundenheit seine Hilfe anbot.

Tatsächlich kümmerte sich der Menschenfreund und Optimist um eine Prominenten-Auswahl, mit der er nach eigenen Angaben 900000 Euro einspielte. Auch für dieses Engagement, aber auch für seine vielfältigen Verdienste für den deutschen Fußball bekam er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und wurde als Botschafter des deutschen Fußballs ausgezeichnet.

Sein letzter Trainerjob? Führte ihn 2003 auf die Südsee-Insel Samoa. Gutendorf schwärmte vom guten Wetter, dem grün-blauen Wasser und den Menschen: „Sie sind unglaublich lieb, obwohl ihre Großeltern noch Kannibalen waren.“

Es war die letzte Station im Leben eines Fußball-Weltenbummlers, den das Fremde faszinierte, der das Abenteuer suchte und die Menschen liebte so wie das Leben. „Wenn die schwarze Kiste einmal zuklappt“, sagte er in einem seiner letzten Interviews, „dann soll es sich gelohnt haben.“