„Sie war mein ganzes Leben“ Wenn ein Königreich weint

Die meisten Briten kennen ihr Land bislang nicht ohne Queen Elizabeth II. an der Spitze. Am Freitag sind sie nun zum ersten Mal ohne sie aufgewacht. Die Zäsur könnte größer kaum sein.

Trauernde legen vor Schloss Windsor Blumen nieder.

Foto: dpa/John Walton

Die Linsen sind auf den Buckingham-Palast gerichtet. Kein Gebäude der Welt dürfte an diesem Freitag - dem ersten Tag nach Queen Elizabeth II. - häufiger fotografiert werden. Läuferinnen, Trauernde, Helfer und die versammelte Weltpresse drücken auf die Auslöser ihrer Smartphones und Kameras, um den Moment festzuhalten. Zwar thronen die sandsteinfarbenen Gemäuer unverändert im Herzen der britischen Hauptstadt. Doch am schmiedeeisernen Zaun des Palastes verrät eine in Holz gerahmte Botschaft, dass hier nichts mehr so ist, wie es lange war. Eine Ära ist zu Ende.

Um Punkt 18.30 Uhr britischer Zeit machte die Royal Family es am Vortag offiziell: Die Queen sei am Nachmittag friedlich im Kreis ihrer Familie gestorben, hieß es. Die 96-Jährige hatte den Sommer auf ihrem geliebten schottischen Landsitz Balmoral verbracht und dort am Dienstag noch die neue britische Premierministerin Liz Truss zu einer ersten Antrittsaudienz empfangen. Zwei Tage später ging dann alles ganz schnell: Gegen Mittag eilten alle vier Kinder der Queen sowie Enkel Prinz William und später auch sein Bruder Harry gen Norden. Die Nachrichtensender sprachen von ernsthaften gesundheitlichen Sorgen, ihre Moderatoren legten bereits schwarze Krawatten an.

Dass später dort ein ganz besonderes Leben sein Ende fand, ist am nächsten Morgen in den Straßen von London nicht zu übersehen. Großformatige Schwarz-Weiß-Porträts prangen von Leuchtfassaden, Flaggen wehen auf halbmast. Der Zaun vor dem Buckingham-Palast ist mit Sonnenblumen und Rosen gesäumt, viele Trauernde haben sich noch am Abend und in der Nacht auf den Weg gemacht - wie Scott Thomas aus dem walisischen Cardiff. Als der 31-Jährige die Eilmeldungen las, feierte er gerade mit seinen Freunden. Doch: „Mir war sofort klar: Ich muss nach London.“

Der Londoner Barry Jones hat gleich zwei bunte Sträuße mitgebracht. Damit das Anwesen in Westminster nicht unter dem Blumenmeer versinkt, dürfen alle Sträuße zwölf Stunden lang davor liegen, bevor sie in den angrenzenden Green Park gebracht werden. Der 67-Jährige kann sich eine Welt ohne die Queen noch gar nicht vorstellen. „Sie war mein ganzes Leben da, ich kannte niemand anderen.“

Obwohl sich schon am Morgen Alte wie Junge, Heimische wie Zugezogene um den Palast drängen, ist es auffällig still. Manche verdrücken ein paar Tränen, andere beobachten das Geschehen aus etwas Distanz. Das geteilte Gefühl, dass sich hier ein Ereignis für die Geschichtsbücher abspielt, liegt in der Luft. „Es ist gewaltig, nicht wahr?“, sagt die Künstlerin Ruby Wright, die an einer Laterne lehnt und den Palast mit den Menschenmassen davor auf ihrem Malblock skizziert. „Als wäre unser aller Großmutter gestorben.“ Blumen hat Wright nicht dabei, vor allem die Neugier hat sie hergetrieben. „Ich finde es interessant, wie wir reagieren, wenn jemand Berühmtes stirbt. Wir fühlen etwas sehr Persönliches, obwohl wir die Person gar nicht kannten.“

Die Britin Marion Duffy hat mit König Charles III., der nach seiner Rückkehr aus Schottland am Nachmittag ein Bad in der Menge nimmt, vor allem Mitleid. „Es ist ein Scheißjob, wirklich ein furchtbarer Job“, sagt Duffy, die mittlerweile in Paris lebt. Als sie über den Dienst der Queen für das Königreich spricht, bricht ihr die Stimme und die Tränen laufen übers Gesicht. „Sie hat fast übermenschlich gewirkt - einfach, als könnte sie alles schaffen.“

(dpa)