@RenateBergmann Twitter-Oma zwitschert über Gott und die Welt

Berlin (dpa) - Sie ist 82, viermal verwitwet und nimmt kein Blatt vor den Mund. Renate Bergmann, geborene Strelemann, ist ein Phänomen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.

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Die Seniorin aus Berlin-Spandau mit Vorliebe für Korn, Klosterfrau Melissengeist und fremde Beerdigungen behält über Twitter die großen und kleinen Dramen des Lebens genauestens im Blick. Knapp 35 000 Follower hat sie inzwischen. Dass die Helene-Fischer-Anhängerin nur in der Online-Welt existiert, macht da eigentlich nichts aus.

Ein Tweet am Morgen ist ein Muss und klingt dann so: „Montags sind immer so wenig Traueranzeigen in der Zeitung, da ist man ruck zuck durch mit dem Lesen. Guten Morgen wünscht Renate Bergmann.“ Damit wären wir auch bei einem der wichtigsten Themen aus ihrem Alltag. Denn Begräbnisse sind für die Rentnerin kein Anlass zu übermäßiger Trauer, sondern vor allem harte Arbeit: „Ich war den ganzen Tag auf Beerdigungen, liebe Güte, wissen Se das schlaucht! Ich bin fix und fertig, aber der Aufschnitt reicht bis Advent.“

Die erste Twitter-Nachricht setzte sie im Januar 2013 ab, seitdem ging es mit der Follower-Zahl stetig nach oben. Ersonnen hat die Figur Torsten Rohde - aus einer Bierlaune heraus an Weihnachten. „Ich hab einfach angefangen zu twittern, die Leute fanden das lustig“, erzählt der 42-Jährige, der die User zunächst einige Zeit im Unklaren darüber ließ, dass hinter dem Account @RenateBergmann in Wirklichkeit ein Controller aus Genthin in Sachsen-Anhalt steckte. Unterstützung bekam er dabei auch von Moderatorin Sarah Kuttner, die das Spielchen immer wieder mitmachte und etwa ihre Omi Renate Bergmann bei Twitter willkommen hieß. „Folgt ihr gern, macht dabei aber bitte nicht wieder so einen Lärm.“

Mit Erscheinen des ersten Buchs („Ich bin nicht süß, ich hab bloß Zucker“) wurde das Rätsel dann endgültig gelüftet. Der Begeisterung für die Twitter-Oma tat das aber keinen Abbruch. „Ich konnte mir anfangs nicht vorstellen, dass jemand das für real hält“, sagt Rohde. Inzwischen gibt es sechs Bände, weitere sind in Planung. Außerdem tourt er gemeinsam mit Schauspielerin Anke Siefken durch die Republik und lässt Renate Bergmann ihre Weisheiten unters Volk bringen - nicht über Twitter, sondern höchstpersönlich von der Bühne aus.

So auch Mitte November im Berliner Kabarett-Theater Distel. Da steht sie nun und hat sich fein gemacht. Blaues Kostüm, pastellfarbener Filzhut, Brille. Korn, Kölnisch Wasser und Smartphone in Reichweite. Torsten Rohde beobachtet das Geschehen vom Publikum aus und sorgt auf Twitter für Nachschub aus dem Renate-Bergmann-Universum. Diesmal geht es um Doberschnauzer Norbert und dessen Schlafprobleme. Multitasking scheint für Renate Bergmann wirklich kein Fremdwort zu sein.

Follower, darunter Politikerinnen wie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Linkspartei (8000 Follower), Ex-Ministerin Renate Künast (26 000) von den Grünen oder eben Moderatorin Kuttner (165 000), haben im Laufe der Zeit viel von der 82-Jährigen erfahren. Dazu gehört auch das illustre Umfeld: die esoterisch angehauchte Tochter Kirsten („Das Mädel hat nicht alle Platten an am Herd“), das befreundete Paar Kurt und Ilse oder die stets kritisch beäugte, männerverschleißende Nachbarin („Bei der Berber ist schon alles duster, und dabei ist nicht mal ein Kerl da. Die brütet bestimmt eine Erkältung aus“).

Worüber zwitschert Renate Bergmann nicht? Politik. Eigentlich. „Ich halte sie eigentlich komplett unpolitisch“, erzählt Rohde, bei dem nach seinen Worten keine Oma oder Tante Renate als Vorbild gedient hat. Doch es gibt Ausnahmen. So ließ es sich das Alter Ego nicht nehmen, jüngst den Ausgang der US-Wahl zu kommentieren - auf die Bergmannsche Art: Donald Trump sei doch schon 70 und „darf zur Rente gar nichts dazuverdienen! So können se ihn drankriegen!“ Bei den Anschlägen von Paris im vergangenen Jahr verstummte Renate Bergmann dann für ein paar Tage komplett. Und einmal habe Rohde auch User wegen rechter Kommentare reihenweise blocken müssen.

Was sagt er zum Erfolg der Twitter-Omi? „Ich kann's mir auch nicht erklären. Vielleicht liegt's daran, dass viele so eine Oma zu Hause haben oder aber so eine Oma in Gedanken mit sich herumtragen, die nicht mehr da ist. Eine Oma, die ein bisschen schrullig ist, gewitzt und auch ein bisschen nervt.“ Auch aus dem Publikum in der Distel sind nach dem Leseabend ähnliche Einschätzungen zu hören.

Lektorin Diana Stübs vom betreuenden Rowohlt Verlag sagt: „Sie mag mal übers Ziel hinausschießen oder meckern, aber eigentlich will sie für uns alle nur das Beste.“ Auch die nächste Zeit dürfte stressig werden, wie auf Twitter zu lesen ist: Zu 19 Weihnachtsfeiern sei Bergmann eingeladen. „Sie wissen ja: Rentner haben niemals Zeit! Und Gott sei Dank hat mein Rock Dehnbund.“