Umstellung ist aus der Zeit gefallen

Arbeitgeberverbände, Energiewirtschaft, Mediziner und Psychologen — sie alle plädieren für das Ende des Zeigerdrehens.

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Brüssel/Düsseldorf/Krefeld. Im März eine Stunde vor, im Oktober eine Stunde zurück — seit Jahrzehnten wird in der Europäischen Union zwei Mal im Jahr die Zeit umgestellt. Doch nun scheint das Ende dieser seit Jahren umstrittenen Regelung absehbar. In einer EU-weiten Umfrage hat sich eine überwältigende Mehrheit der Teilnehmer für die Abschaffung der Zeitumstellung ausgesprochen. Die Abstimmung war zwar nicht repräsentativ und auch nicht bindend. Doch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will dem folgen. „Die Menschen wollen das, wir machen das“, sagte der Kommissionschef am Freitag im ZDF.

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Gut möglich, aber nicht sofort. Die EU-Kommission hat zunächst einmal nur ein Vorschlagsrecht. Das Europaparlament und die EU-Staaten müssen noch zustimmen. Wenn das noch vor Ende der Legislaturperiode im Mai 2019 passieren soll, müssen sie sich beeilen. Realistischer ist, dass es etwas länger dauert: Die zuständige EU-Kommissarin Violeta Bulc sagte am Freitag, wenn alles glatt laufe, könnte die Entscheidung im kommenden Jahr fallen — und die Zeitumstellung 2020 oder 2021 passé sein.

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Die Befürworter der Abschaffung sind sich sicher, dass es im EU-Parlament eine Mehrheit gibt. Im Rat der Mitgliedsländer ist die Lage unübersichtlicher. Einige Länder haben allerdings bereits ihre Unterstützung signalisiert — unter ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): „Ich persönlich hätte jedenfalls dafür eine sehr hohe Priorität“, sagte die CDU-Chefin am Freitag. „Ich freue mich, wenn die Kommission dieses Votum ernst nimmt.“

Wenn künftig in Deutschland die ewige Sommerzeit gelten sollte, ginge beispielsweise am 1. Januar 2019 die Sonne in Frankfurt/Main morgens erst um 9.24 Uhr auf, ginge aber auch erst gegen 17.30 Uhr unter. Wenn eine dauerhafte Winterzeit eingeführt würde, hätte das umgekehrt Folgen für die langen Sommerabende: Am 1. Juli 2019 würde die Sonne in Frankfurt statt um 21.37 Uhr nun schon um 20.37 Uhr untergehen. Dafür würde sie bereits um 4.20 Uhr aufgehen.

Das wollte die EU-Kommission mit der Online-Umfrage herausfinden, und das Ergebnis war sehr eindeutig: 84 Prozent der 4,6 Millionen Teilnehmer wollen ein Ende des Hin und Her. Die Umfrage war allerdings nicht repräsentativ — jeder konnte mitmachen, und die Vermutung liegt nahe, dass sich vor allem Menschen mit einer klaren Meinung beteiligten. Allein drei Millionen Antworten kamen aus Deutschland, wo offensichtlich besonders viele Gegner der Umstellung sitzen: In einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK-Gesundheit vom März sprachen sich 73 Prozent der Befragten für die Abschaffung der Zeitumstellung aus.

Eigentlich soll das Tageslicht besser genutzt werden. In Deutschland gab es die Sommerzeit schon mehrfach. Zuletzt wurde sie 1980 wieder eingeführt. Unter dem Eindruck der Ölkrise von 1973 hatte man die Hoffnung, auf diese Weise Energie zu sparen. Ein weiterer Grund war die Anpassung an die Nachbarländer, die diese Regelung schon hatten. Seit 1996 gibt es eine einheitliche EU-weite Regelung. Seitdem beginnt die Sommerzeit Ende März und hört Ende Oktober auf. In dieser Zeit ist es abends eine Stunde länger hell.

Sie argumentieren, dass tatsächlich keine Energie gespart wird. Laut Umweltbundesamt schalten die Deutschen im Sommer zwar wegen der Zeitumstellung abends seltener das Licht an — im Frühjahr und Herbst wird morgens allerdings mehr geheizt. Dazu sagt Dorothée Winkmann, Sprecherin der Stadtwerke Krefeld auf Anfrage dieser Zeitung: „Ob Sommer- oder Winterzeit ist für uns gleich. Das hat gar keine Auswirkungen, nicht in der Versorgung, nicht im Verbrauch. Wofür der Wechsel vor über 40 Jahren eingeführt wurde, nämlich dafür, Energie einzusparen, das hat sich nicht bestätigt.“

Die Verkehrsbetriebe sehen einem Wegfall positiv entgegen. Bisher müssen sie ihre gesamte Informationstechnik zwei Mal im Jahr daraufhin untersuchen, ob die Umstellung überall geklappt hat und die Anzeigetafeln stimmen. Eckhard Lander, Sprecher der Rheinbahn in Düsseldorf, sagt, dass so ein „enormer Aufwand“ wegfalle: „Wir müssten das noch einmal machen und dann nur noch hoffen, dass keine alten Automatismen mehr greifen.“

Mediziner sehen zudem Risiken für die Gesundheit. In der Forsa-Umfrage gab rund ein Viertel der Befragten an, schon einmal gesundheitliche Probleme wegen der Zeitumstellung gehabt zu haben. Als Beschwerden wurden vor allem Müdigkeit, Schwierigkeiten beim Einschlafen und Konzentrationsprobleme genannt. In der Umfrage der EU-Kommission gaben drei Viertel der Teilnehmer an, die Zeitumstellung habe negative Auswirkungen auf ihr Leben.

Das glaubt auch der Düsseldorfer Umweltpsychologe Kai Lenßen. Viele Menschen bräuchten bis zu vier Wochen, um sich auf die neue Zeit umzustellen — das habe Folgen wie ein leichter Jetlag, besonders stark bei Kindern ausgeprägt. Die nach der Umstellung plötzlich früher einsetzende Dunkelheit im Herbst bringe zudem eine gesteigerte Unfallgefahr mit sich. Das sei anders, wenn sich die Lichtverhältnisse nach und nach veränderten. Er ist klar pro Abschaffung: „Das bringt uns mehr Kontinuität in all der Hektik“, sagt er.

Sollte das Hin und Her abgeschafft werden, könnte jedes Land für sich entscheiden, ob es dauerhaft die Standardzeit - also Winterzeit - oder die Sommerzeit einführen möchte. Diese Entscheidung ist eine nationale Angelegenheit und würde von einer Abschaffung der Zeitumstellung nicht berührt.

Gut möglich. In der Online-Umfrage stimmte die Mehrheit zwar für eine dauerhafte Sommerzeit. In vier Ländern — Finnland, Dänemark, den Niederlanden und Tschechien — sprachen sich die Teilnehmer jedoch mehrheitlich für eine dauerhafte Winterzeit aus.

In der EU gibt es ohnehin schon drei Zeitzonen. In Deutschland und 16 weiteren Staaten herrscht die gleiche Uhrzeit: die Mitteleuropäische Zeit, genannt MEZ. Darunter sind die Niederlande, Belgien, Österreich, Dänemark, Frankreich, Italien, Kroatien, Polen und Spanien. Acht Länder — Bulgarien, Estland, Finnland, Griechenland, Lettland, Litauen, Rumänien und Zypern — sind eine Stunde voraus: dort gilt die Osteuropäische Zeit oder OEZ. Drei Staaten sind eine Stunde zurück, nämlich Irland, Portugal und Großbritannien, wo die Westeuropäische Zeit gilt, die WEZ.

Mit gemischten Gefühlen, aber eher positiv. Der Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Stefan Kapferer, zeigte sich erfreut: „In der Tat bringt der Dreh am Zeiger keine spürbare Energieeinsparung.“ Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist für die Abschaffung: „Die Zeitumstellung hat in viele Arbeitszeitkonzepte und Logistikabläufe Unruhe gebracht“, teilte der Verband mit.

Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, betonte hingegen, die positiven und negativen Effekte glichen sich aus. „In manchen Unternehmen führt die Zeitumstellung zu Mehraufwand, zum Beispiel in Betrieben mit Schichtdienst oder im Bahnverkehr.“ Insbesondere Betriebe, die Dienstleistungen für Outdooraktivitäten anbieten, profitierten jedoch von der Sommerzeit. Nun dürfe nicht überstürzt gehandelt werden. dpa/mip/juki/che