Chinesin starb qualvoll „Unfassbares Verbrechen“ - BGH prüft Urteil nach Sexualmord
Karlsruhe (dpa) - Sie bezahlte ihre Hilfsbereitschaft mit dem Leben: Eine Studentin aus China unterbricht ihre Joggingrunde, um beim Tragen schwerer Kartons mit anzupacken. Aber die junge Frau, die sie in Dessau angesprochen hat, lockt sie mit ihrem Freund in eine Falle.
Die 25-Jährige wird brutal vergewaltigt, stirbt unter Qualen. Bei der Urteilsverkündung gegen das Paar, beides Deutsche, spricht die Richterin am Landgericht von einem „unfassbaren Verbrechen“. Wie viel Schuld trägt daran die weibliche Angeklagte? Das prüft seit heute der Karlsruher Bundesgerichtshof (BGH). (Az. 4 StR 87/18)
Am 11. Mai 2016 hält eine Überwachungskamera fest, wie die Frau, damals wie ihr Freund 20 Jahre alt, die Chinesin auf der Straße abpasst, in ein Haus lotst. Das Foto, das später bei der Trauerfeier an das Opfer erinnert, zeigt eine zierliche Frau mit schüchternem Lächeln und kindlichen Zügen. Gegen den 1,95 Meter großen und mehr als 100 Kilogramm schweren Angeklagten, der nach Überzeugung der Dessauer Richter im Treppenhaus wartet, hat sie keine Chance.
Ihm geht es um Sex, Sex zu dritt mit einer anderen Frau, so viel scheint sicher. Die Architekturstudentin, die kaum Deutsch spricht, wird zum Zufallsopfer. Laut Staatsanwaltschaft ist sie für die beiden nur ein „Objekt zur Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse“. In einer leeren Wohnung wird die Frau misshandelt und vergewaltigt.
Was für ein Paar tut so etwas? Gutachter beschreiben im Prozess vor dem Landgericht Dessau-Roßlau zwei gestörte Persönlichkeiten. Er gefühlskalt, dominant und sadistisch, ohne Reue. Sie durch sexuellen Missbrauch in der Kindheit traumatisiert, von Verlustängsten und Minderwertigkeitskomplexen beherrscht, sehr jung mehrfache Mutter.
Emotionen zeigen beide nicht, als die Staatsanwältin zum Prozessauftakt Ende 2016 die Verletzungen verliest, die der Frau zugefügt wurden. Risse, Blutungen, Brüche. „Es muss viele Schläge und Tritte gegen das Opfer gegeben haben mit enormer Gewalt“, sagen die Rechtsmediziner. „Die Qualen müssen über Stunden gegangen sein.“
Die Anklage lautet auf gemeinschaftlichen Mord. Aber die Rolle der Freundin erscheint in einem anderen Licht, als sie vor Gericht ihr Schweigen bricht. Ihr Partner habe ihr beim Sex Dinge aufgezwungen, die sie nicht wollte, sie geschlagen, bedroht und erniedrigt. Die Brutalität sei von ihm ausgegangen, sie habe ihn nicht stoppen können. Der Freund schweigt. Inzwischen ist das Paar getrennt.
Die Staatsanwaltschaft war in ihrer Anklage davon ausgegangen, dass die schlimmen Verletzungen bei der Vergewaltigung entstanden. Die Richter glauben der Ex-Freundin einen anderen Hergang: Demzufolge ließ sie ihren Partner danach mit dem noch nicht sichtbar verletzten Opfer allein - in dem Glauben, er werde die Frau nun gehen lassen.
Was dann passiert sein soll, ist schwer erträglich. Nach den Feststellungen des Landgerichts würgt der Mann sein Opfer minutenlang, um es zum Schweigen zu bringen, versucht, es in einem Wassereimer zu ertränken, schlägt den Kopf auf den Boden. Als die Leiche zwei Tage später bei einer großen Suche gefunden wird, ist sie so zugerichtet, dass zunächst keine Identifizierung möglich ist.
Im August 2017 verhängen die Dessauer Richter gegen den Polizistensohn wegen Mordes und schwerer Vergewaltigung die Höchststrafe: lebenslange Haft bei besonderer Schwere der Schuld. Die Ex-Freundin wird nach Jugendstrafrecht zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis wegen sexueller Nötigung verurteilt.
Fragen bleiben: Wie kann die Frau nicht geahnt haben, was ihr Freund tun würde? Schließlich half sie ihm noch dabei, die Studentin auszufragen, in Erfahrung zu bringen, mit wem sie lebte, ob sie zur Polizei gehen würde. Die Staatsanwaltschaft und die Eltern des Opfers als Nebenkläger wollen in Karlsruhe erreichen, dass auch die Angeklagte für den Mord zur Verantwortung gezogen wird.
„Aber kann es nicht sein, dass sie ihm einen Mord schlicht nicht zutraute?“, hält die Vorsitzende Richterin Beate Sost-Scheible dem in der Verhandlung entgegen. Der Senat könne das Urteil nur aufheben, wenn es Rechtsfehler gebe. „Es reicht eben nicht zu sagen, man hätte das auch anders sehen können.“ Ihre Entscheidung wollen die Richter am 6. September verkünden. Die Bundesanwaltschaft hat beantragt, die Revisionen zu verwerfen. Damit wäre die Strafe rechtskräftig. Über die Revision des Ex-Freundes soll gesondert entschieden werden.