Unheilig - der Graf mutiert zum Kuschelfürsten
Berlin (dpa) - Gab es in letzter Zeit ein Album, das so sehnsüchtig erwartet wurde wie das der Formation Unheilig um den Sänger und Kopf namens Graf? Im deutschsprachigen Raum wohl kaum. Jetzt kommt es mit „Lichter der Stadt“ in die Regale der Händler.
Mit dem Vorgänger „Große Freiheit“ eilte der Aachener von Erfolg zu Erfolg, von Preisübergabe zu Preisübergabe. Bei den Verkaufszahlen konnte sich der Graf ganz entspannt zurücklehnen und ihnen beim Klettern weit über die Millionengrenze zusehen.
Das produziert im Vorfeld ungeheuren Erwartungsdruck. „Na klar, jede andere Aussage wäre gelogen“, lässt der Graf, wie immer im schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte, im Interview verlauten, „natürlich gibt es zunächst den Druck von außen. Dabei ist der nicht zu vergessen, den ich mir selbst mache. Und der ist im Zweifelsfalle deutlich höher“.
Dieser Eigendruck ist so verwunderlich nicht, schließlich ist „Lichter der Stadt“ bereits die achte Platte von Unheilig, aber erst mit der „Großen Freiheit“ ging es für das Musikprojekt durch die Decke. Mit dieser Veröffentlichung emanzipierte sich der Graf des Grauens von der Dunkelheit der Gothic-Szene und wurde zum verkaufsträchtigen Kuschelfürsten des Lichts.
Wandlung ist auch das große Thema des Grafen geworden. „Dabei geht es um nichts als pures Leben, auch um meins und die Augenblicke und Momente der Veränderungen durch den Erfolg der letzten zwei Jahre“, sagt er. „Es geht aber auch weiterhin um die Betrachtung anderer Menschen. Wie sie sich entfalten, eigene Wege gehen und alt werden. Dazwischen ist Alltag. Viel Alltag. Doch was übersteht jede noch so graue und vergängliche Alltäglichkeit? Gefühle! Die bleiben.“
Davon kann der gelernte Hörgeräteakustiker wahrlich ein Lied singen. Für jeden begreifbar. Für jeden nachvollziehbar. Für jeden trostspendend. Melodisch eingängige Musik im Cinemascope-Format unterlegt seine sonor dunkle, mit viel Hall ausgestattete Stimme. Der Gesang des Grafen ist geprägt von großer Leidenschaft und schmachtender Sehnsucht.
Insofern ist „Lichter der Stadt“ eine würdige Fortsetzung der vorgehenden Platte. Um seinen neuen künstlerischen Weggefährten, die er zwischen Talkshows und Preisverleihungen kennenlernte, Tribut zu zollen, hat er sich Sangespartner ins Studio geholt. „Wie wir waren“ ist ein Duett mit Andreas Bourani, bei „Zeitreise“ durfte Soulpoet Xavier Naidoo mit ran.
Obwohl er wenig Privates erzählt, gibt der Graf über zwei Herausforderungen seines Lebens gerne Auskunft. Da ist zunächst der Grund, warum er überhaupt zur Musik kam. „Das hängt mit meinem Sprachproblem zusammen“, gibt er freimütig zu. „Ich bin Stotterer. Habe als Kind extrem gestottert. Mittlerweile geht es. Es gibt gute Tage. Und schlechte Tage. Damals hatte ich eine Heimorgel, und wenn ich spielte, musste ich nicht reden. Dass ich beim Singen nicht stottere, habe ich erst Mitte Zwanzig entdeckt.“
Durch die zweite Prüfung muss der Graf bei jedem Auftritt neu. „Ich gehe extrem ängstlich auf die Bühne“, bekennt er. „Vor dem Auftritt würde ich am liebsten weglaufen. Es ist ganz schlimm, weil ich immer Angst habe, zu versagen. Dann bleibe ich kurz stehen, denke an den lieben Gott und meine ganze Familie. Ich weiß, die helfen mir jetzt. Ich renne raus. Und wenn die Leute klatschen, ist alles gut. Ein super Gefühl.“
Diesem Gefühl darf sich der Graf in näherer Zukunft wieder häufiger aussetzen, denn gleich mit der ersten Single-Auskopplung „So wie du warst“ stürmte Unheilig auf Platz zwei der Hitparade. Erste Konzerte sind auch schon ausverkauft. Da darf getrost die Frage gestellt werden: Wird 2012 wieder ein Rekordjahr für den Grafen?