Vater des Winnenden-Amokläufers erhält geringere Strafe
Stuttgart (dpa) - Große Hoffnungen hatte der Vater des Amokläufers von Winnenden in die Revisionsverhandlung gesteckt. Der Vorwurf der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen sollte weg.
Doch die Rechnung ging nicht auf: Der Vater muss dafür büßen, dass der Sohn seine Waffen benutzen konnte.
Der Vater von Tim K. trägt eine Mitschuld an dem Blutbad mit 16 Toten vor vier Jahren. Das stellte das Stuttgarter Landgericht nach erneuter Überprüfung des Falls fest. Die Stuttgarter Richter verurteilten den 54-jährigen Unternehmer am Freitag zu 18 Monaten Haft auf Bewährung, unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. Er hatte die Pistole in einem unverschlossenen Kleiderschrank aufbewahrt, mit der sein Sohn am 11. März 2009 in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen und sich selbst erschossen hatte. Die meisten Opfer des Amoklaufs waren Schüler und Lehrer der Albertville-Realschule in Winnenden.
„Es ist die Überzeugung der Kammer, dass es nicht zum Amoklauf gekommen wäre, wenn Sie Waffen und Munition ordnungsgemäß verwahrt hätten. Punkt. Aus“, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski. Der Angeklagte sei mit den waffenrechtlichen Anforderungen schlicht „schlampig umgegangen“, betonte er.
Das Gericht sprach den Angeklagten der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen und der 14-fachen fahrlässigen Körperverletzung für schuldig. Zudem sahen die Richter es als erwiesen an, dass er gegen das Waffengesetz verstoßen hat.
Die Kammer gehe nicht davon aus, dass die Eltern von den Tötungsfantasien ihres 17-jährigen Sohnes wussten. Damit begründete Polachowski, dass die Kammer das Strafmaß aus dem ersten Urteil von 21 auf nunmehr 18 Monate reduzierte. Der Vater habe nicht ahnen können, dass es zu dem Amoklauf kommen werde. Für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung komme es aber nicht auf die „konkrete Vorhersehbarkeit“ an. Auch eine abstrakte Gefahr reiche, wenn diese später Wirklichkeit werde.
Der zweite Prozess war nötig geworden, weil der Bundesgerichtshof das erste Urteil wegen formaler Fehler kassiert hatte. Da damals nur die Verteidigung und nicht die Staatsanwaltschaft Revision beantragt hatte, konnte die Strafe für den Angeklagten diesmal nicht höher ausfallen als im ersten Verfahren.
An den Angeklagten appellierte Polachowski mit Nachdruck, sich seiner Schuld endlich zu stellen und das neue Urteil zu akzeptieren. Mittlerweile seien elf Berufsrichter und vier Schöffen zu dem gleichen Ergebnis gekommen. „Sie sollten sehen, was Sie sich, Ihrer Familie und den Angehörigen der Opfer antun, wenn das Verfahren in die nächste und nächste und nächste Runde geht.“ Dem pflichteten viele Angehörige bei. Der Prozess hatte, vor allem zur Weihnachtszeit, alte Wunden wieder aufgerissen. Ein Vater sagte nach dem Urteil, er wolle endlich richtig trauern können.
Auch wenn die Strafe etwas geringer ausfiel, folgte die Kammer in wesentlichen Punkten dem Antrag der Staatsanwälte und vieler Nebenkläger. Sie hatten auf eine erneute Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung plädiert und angeführt, der Revisionsprozess habe keine neuen Erkenntnisse gebracht. „Die Urteilsbegründung hat mich voll überzeugt, sowohl juristisch als auch menschlich“, sagte Staatsanwalt Thomas Hochstein am Freitag.
Enttäuschung dagegen bei der Verteidigung: „Wir sind alle nicht erfreut über das Urteil“, sagte Rechtsanwalt Hubert Gorka. Die Verteidiger hatten nur einen Verstoß gegen das Waffengesetz gesehen und gefordert, die Kammer solle von einer Strafe absehen. Der Angeklagte habe wegen des Verlusts seines Sohnes schon genug gelitten, hieß es im Plädoyer von Gorka. Die drei Verteidiger prüfen nun, ob sie Revision einlegen sollen. „Ich werde meinem Mandanten raten, das Urteil anzufechten“, sagte Gorka.
Selbst wenn es rechtskräftig wird, haben die gerichtlichen Auseinandersetzungen damit noch kein Ende: Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe kommen auf den Vater zu.