Verkehrsexperte: „Im Auto ist der Mensch ein anderer“
Der Verkehrsexperte Professor Michael Schreckenberg über unbelehrbare Autofahrer.
Duisburg. Professor Michael Schreckenberg ist Verkehrsforscher an der Universität Duisburg-Essen. Der Experte hält nicht viel vom Blitz-Marathon.
Herr Schreckenberg, wie schätzen Sie den Erfolg vom Blitz-Marathon ein?
Michael Schreckenberg: Der Aufwand ist hoch, ich zweifle an dem Erfolg. Wenn Autofahrer auf den Blitz-Marathon hingewiesen werden, stellen Sie sich darauf ein. Die Leute sind ja nicht einfältig. Der erste, der erwischt wird, wird ja schon von Innenminister Jäger gefeiert. Morgen ist der Effekt nicht mehr da, dann fahren die Menschen wieder schnell.
Innenminister Jäger betont, dass die Zahl der getöteten und verletzten Personen zurückgegangen ist, dank des Blitz-Marathons. . .
Schreckenberg: Man sollte sich von der Aktion nicht zu viel versprechen. Statistiken können immer politisch interpretiert werden. 2011 hatten wir eine Zunahme von Verkehrstoten. Das war ein Ausreißer nach Jahren mit sinkenden Zahlen. Jetzt sind wir wieder auf dem Niveau von 2010.
Warum fahren Menschen überhaupt gern so schnell?
Schreckenberg: Nirgends überschreiten Menschen das Gesetz so schnell wie im Verkehr. Im Auto ist der Mensch ein anderer. Es gibt ja regelrechte Wettkämpfe auf der Straße. Das wird gefördert, weil man dem anderen nicht in die Augen sieht. Autofahrer sind im Wagen anonym und trauen sich mehr. Autofahren wird in Deutschland als Grundrecht angesehen, aber man muss psychisch in der Lage sein, sich unterzuordnen. Das können viele Menschen nicht.
Sind Autofahrer nicht belehrbar?
Schreckenberg: Wenn es an einer Schule eine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt, kapiert das jeder. An anderen Stellen werden Geschwindigkeitsbegrenzungen als Schikane begriffen. Es gibt kein Verständnis im Volk. Das Telefonieren mit dem Handy etwa ist im Auto verboten. Weil aber so gut wie keine Kontrollen stattfinden, hält sich niemand daran.
Wie könnte man Raser erziehen?
Schreckenberg: Man muss gegen die Fahrer, die massiv zu schnell sind, vorgehen. Da hilft nur ein Führerscheinentzug. Das ist für Menschen wie eine Amputation. Tatsächlich ist der Führerscheinverlust laut Umfragen nach dem Verlust des Partners das Schlimmste, was einem passieren kann. Aber auch harte Strafen wären nur ein Herumdoktern an Symptomen. Ziel ist es, dass sich Autofahrer selbst disziplinieren.
Was schlagen Sie also vor?
Schreckenberg: Man müsste viel früher ansetzen. Schon in der Schule müssten die Folgen von zu hoher Geschwindigkeit bei einem Unfall erklärt werden. Das entscheidet bei einem Unfall oft über Leben und Tod. Von Strafen halte ich auf lange Sicht nicht viel. Ich plädiere dafür, dass es Fortbildungen für Autofahrer gibt. Wer solch ein Seminar besucht, könnte etwa mit einem Versicherungsrabatt belohnt werden.