„Kongeniale Ergänzung“ Volksbühne Berlin plant Neubau im Flughafen
München/Berlin (dpa) - Die neue Leitung der Berliner Volksbühne traut sich was. In einer vom Flughafen-Trauma erschütterten Hauptstadt soll das erste Projekt unter dem designierten Intendanten Chris Dercon ein Neubau sein - auf einem Flughafengelände.
Vielleicht ist das der Grund, warum die spektakulären Pläne nicht in Berlin vorgestellt werden, sondern weit weg in der bayerischen Landeshauptstadt.
Der Architekt Francis Kéré präsentiert das Modell für den Neubau auf dem Gelände des Flughafens Tempelhof am Mittwoch in der Pinakothek der Moderne in München, wo eine Werkschau („Francis Kéré. Radically Simple“) über seine beeindruckenden Arbeiten überall auf der Welt startet - von seinem Heimatdorf Gando in Burkina Faso bis nach China und in die USA.
Das letzte Kapitel der Ausstellung ist mit „Heimkehr“ überschrieben und zeigt neben Plänen für den Neubau des Parlamentsgebäudes in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, das im Oktober 2014 während der Revolution in dem Land niederbrannte, erstmals auch eben jenes Berliner Projekt. Kéré kam einst mit einem Stipendium nach Deutschland und ist heute Wahlberliner.
„Die Warnung ist schon da - Berlin funktioniert nicht“, sagt Kéré mit Blick auf die Langzeit-Baustelle des Berliner Flughafens Willy Brandt und verspricht: „Aber mit mir wird es funktionieren.“ Wenn er etwas mache, dann „hundertprozentig“.
Sein Auftrag: „ein mobiles, temporäres Theater zu entwickeln“. Die runde, amphitheaterähnliche Bühne, die bis zu 1000 Menschen Platz bieten soll, werde sich künftig in einem Hangar befinden, könne aber auch - genau wie die Flugzeuge - nach draußen fahren. Inspiriert wurde der Architekt zu dem Entwurf für das mit gewebeähnlichem Material umwickelte Stahlgerüst von Nomadenzelten.
Kéré gilt mit seiner nachhaltigen Bauweise als einer der wichtigsten Vertreter einer sozialen Architektur. In seiner Heimat hat er Schulen gebaut, ein Krankenhaus und das Operndorf des 2010 gestorbenen Regisseurs Christoph Schlingensief.
Mit Schlingensief hat auch Dercon zusammengearbeitet, der als Museumsdirektor das Haus der Kunst in München und zuletzt die Tate Modern in London leitete und 2017 Frank Castorf nach 25 Jahren im Amt als Volksbühnen-Intendant ablösen wird. „Wir wollen den Entwurf für ein Satelliten-Theater auf Tempelhof von Francis Kéré in einem gemeinsamen Prozess mit allen Beteiligten weiterentwickeln und verwirklichen“, sagt der Belgier nun auf Anfrage zum Bauprojekt. Wie teuer das wird und wer das bezahlt, ist noch unklar. „Wir sind mit mehreren Partnern im Gespräch.“ In jedem Fall aber soll das Eröffnungsprogramm für den Flughafen Tempelhof im Herbst 2017 stattfinden, komme was wolle.
Es soll eine „kongeniale Ergänzung“ sein für die Bühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Internationale Künstler „verschiedener Sparten“ sind laut Ausstellungsinformationen eingeladen, die neue Bühne zu nutzen. Der Raum soll die Möglichkeit geben, „die Migrations- und Fluchtbewegungen als eine neue Form des Kosmopolitismus zu reflektieren“. Die Initiative markiere „ein neues Kapitel in der komplexen und wechselhaften Geschichte des 93-jährigen Flughafens“. Zuletzt waren tausende Flüchtlinge auf dem Gelände untergebracht.
Dass mit Dercon künftig ein Museumsdirektor an der Spitze der Volksbühne steht, ist überaus umstritten. Seit Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) die Personalie Dercon 2015 bekannt gab, gärt es in der hauptstädtischen Kulturszene. Kritiker fürchten, die Volksbühne verkomme zur „Eventbude“; es gab offene Briefe für und gegen Dercon, den eine Freundschaft zu dem seinerseits in München umstrittenen Kammerspiel-Intendanten Matthias Lilienthal verbindet.
„Dieser Intendantenwechsel ist keine freundliche Übernahme“, hieß es von Volksbühnen-Mitarbeitern - darunter Schauspielstars wie Sophie Rois, Matthias Wuttke und Birgit Minichmayr. „Er ist eine irreversible Zäsur und ein Bruch in der jüngeren Theatergeschichte.“
Zur Dercons Befürwortern zählen dagegen Museumsleute wie sein Nachfolger in München, Okwui Enwezor, der Architekt David Chipperfield und der Filmemacher Alexander Kluge, die ihrerseits in einem offenen Brief ihrer Hoffnung ausdrückten, „dass die Vernunft über alarmistischen Sensationalismus siegt“.