Balkonblume als Vorreiter: Europas Diskussion um die Gentechnik

Köln (dpa) - Selten löst Schönheit solchen Widerstand aus: Die 30 000 Petunien, die am 14. Mai 1990 in Köln gepflanzt wurden, trafen auf die Gegenwehr von Bürgerinitiativen.

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Denn mit der Auspflanzung jener Petunien begann vor 25 Jahren beim Max-Planck-Institut (MPI) für Züchtungsforschung der erste Freiland-Versuch mit genveränderten Pflanzen in Deutschland.

25 Jahre später tobt die Debatte um die Gentechnik weiter. Wichtige Entscheidungen dazu fallen in Brüssel, mit viel politischem Hängen und Würgen. Denn auch europäische Landwirte setzen auf gentechnisch veränderte Pflanzen als Futtermittel. So werden laut EU-Kommission mehr als 60 Prozent des EU-Bedarfs an pflanzlichem Eiweiß für Rinder durch Einfuhren von Soja und Sojaschrot aus Drittländern gedeckt, wo der Anbau von Genpflanzen weit verbreitet ist.

Andererseits sind Genpflanzen auf Europas Äckern ein Politikum. Die Mehrheit der Deutschen lehnt gentechnisch veränderte Lebensmittel laut einer 2014 veröffentlichten Umfrage ab.

Das Dilemma führte dazu, dass bisher oft die EU-Kommission über Importzulassungen für Futtermittel entscheiden musste - denn unter den EU-Staaten kam nicht die nötige Mehrheit für oder gegen Neuzulassungen zustande. Die Behörde ist die Kritik nun leid und schlug im April vor, solche Entscheidungen auf die nationale Ebene zu verlagern. Dafür bezog sie Prügel von allen Seiten: Bauernverbände, Politiker aller Lager, Gentechnik-Kritiker und der Biotechnik-Branchenverband EuropaBio kritisierten die Vorschläge in seltener Einmütigkeit. Die Märkte für Futtermittel in Europa seien viel zu stark miteinander verwoben, um nationale Verbote durchzusetzen, merkte etwa der Deutsche Bauernverband an. Ob die Pläne überleben, bleibt abzuwarten - sie bräuchten die Zustimmung der EU-Staaten und des Europaparlaments.

Blaupause für die Vorschläge waren jüngst beschlossene neue Anbauregeln für gentechnisch veränderte Pflanzen. Die Staaten bekommen damit mehr Gründe an die Hand, um genveränderte Pflanzen von ihren heimischen Äckern fernzuhalten, auch wenn sie auf europäischer Ebene zugelassen worden sind. Bislang war dies nur dann möglich, wenn die Behörden neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorlegen, was aber als schwierig gilt. Künftig sollen auch andere Verbotsgründe möglich sein, die mit Stadt- und Landschaftsplanung oder den „sozioökonomischen Folgen“ des Anbaus zu tun haben. Mit anderen Worten: Die Regierungen bekommen mehr Spielraum für politische Entscheidungen gegen kommerziell genutzte Genpflanzen.

Gentechnisch veränderte Lebensmittel gibt es in Europa übrigens kaum zu kaufen - denn solche Waren müssten gekennzeichnet werden, was Verbraucher abschrecken könnte. Wie groß der Widerstand gegen die grüne Gentechnik aber wirklich ist, daran scheiden sich die Geister. „Die Kritik in Europa ist nie nennenswert zurückgegangen“, sagt Christoph Then vom Verein Testbiotech, der viele Entwicklungen skeptisch beurteilt.

Der Branchenverband EuropaBio sieht das anders: „Die öffentliche Wahrnehmung verbessert sich allmählich“, sagt Generalsekretärin Nathalie Moll. Es gebe aber dennoch weiterhin eine „kleine und lautstarke Minderheit“, die sich vehement gegen genveränderte Organismen wende. „Jetzt ist eine politische Führung nötig, die sich für die objektive wissenschaftliche Wahrheit starkmacht und dabei hilft, die Öffentlichkeit zu informieren.“

Für Then ist nicht entscheidend, ob jeder Skeptiker die komplexe Materie auch versteht. „Das Grundverständnis, dass man in die Natur nicht mit Mitteln eingreifen soll, die man nicht in der Hand hat, halte ich für berechtigt.“

Bestätigt sieht er sich übrigens auch im Kölner Petunien-Experiment vor 25 Jahren. Denn die Pflanzen entwickelten sich anders als erwartet. Nach starker Sonneneinstrahlung und hohen Temperaturen färbte sich ein Großteil der eigentlich lachsroten, trichterförmigen Petunienblüten weiß, war schwach gefärbt oder rotweiß gemustert.

Eigentlich ging es bei dem Experiment um sogenannte „springende Gene“, sehr bewegliche Abschnitte der Erbmasse eines Organismus, die die Aktivität von Genen beeinflussen können. „Daraus entstand dann die Fragestellung, welche Auswirkungen Umweltfaktoren wie zum Beispiel UV-Strahlung auf die Genetik haben“, sagt Wolfgang Schuchert vom Kölner MPI. Die überraschenden Petunien hätten damit wichtige neue Anstöße für die Forschung geliefert.