Kleine Schmerle ganz groß Erster Höhlenfisch Europas entdeckt
Konstanz (dpa) - Der außergewöhnliche Fund wirkt auf den ersten Blick unscheinbar: Der wenige Zentimeter große und ziemlich farblose Fisch schwimmt langsam in einem Becken des Limnologischen Instituts der Universität Konstanz hin und her.
Ab und an bohrt er die Nase in die Steine am Boden oder wackelt mit der Schwanzflosse. Trotzdem: Der Fisch, eine Schmerle, ist etwas Besonderes. Er ist der erste bekannte Höhlenfisch in Europa. Erstmals gesichtet wurde er 2015 von einem Taucher in einem schwer zugänglichen Höhlensystem im Bodenseeraum. Bis zur Fundstelle brauchen Profis etwa eine Stunde, sie müssen gegen die Strömung in den gefluteten Höhlen schwimmen.
Nun hat ein Team aus Höhlentauchern und Forschern der Universitäten Konstanz und Oldenburg sowie dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin den Fisch genauer untersucht.
Die Wissenschaft habe bislang angenommen, dass ein europäischer Höhlenfisch eher auf dem Balkan gefunden würde, sagt die Konstanzer Limnologin Jasminca Behrmann-Godel, die mit ihrem Team in der Zeitschrift „Current Biology“ von dem Fund berichtet. Dort liegt das größte Areal mit unterirdischen Höhlensystemen in Europa.
Stattdessen wurden nun im rund 250 Quadratkilometer großen Versickerungsbereich der Donau Höhlenfische gefunden, die dort isoliert von anderen Schmerlen leben. In dieser Region im Süden Baden-Württembergs versinkt aus dem Bett der Donau Wasser im Untergrund. Das fließt unterirdisch in ein Höhlensystem und kommt circa 12 Kilometer weiter südlich in der Aachquelle wieder heraus - von dort fließt es als Radolfzeller Aach in den Bodensee.
„Das ist die eine Sensation: der erste europäische Höhlenfisch“, sagt Behrmann-Godel. „Und außerdem ist es auch der bisher am nördlichsten entdeckte Höhlenfisch.“ Den bisherigen Rekordhalter hatten US-Kollegen in Pennsylvania entdeckt, am 41. Breitengrad. „Es wurde spekuliert, dass nördlicher gar keine Höhlenfische mehr vorkommen können, da dort während der letzten Eiszeit alles vereist war. Das haben wir im Prinzip mit dem Fund widerlegt.“ Zur Orientierung: In Europa liegt beispielsweise die italienische Stadt Neapel nahe dem 41. Breitengrad.
Nach ersten Erkenntnissen der Forscher ist die Schmerle vermutlich vor rund 20 000 Jahren aus der Donau in das Höhlensystem bei Aach im Kreis Konstanz eingewandert - nach dem Ende der Würmeiszeit. „Das können wir aus unseren genetischen Analysen klar sehen“, sagt der Evolutionsbiologe Arne Nolte von der Universität Oldenburg.
Die Verwandtschaftsverhältnisse der neu entdeckten Höhlenfische werden derzeit noch untersucht. Behrmann-Godel vermutet, dass einige Donau-Bachschmerlen (Barbatula barbatula) mit Versickerungswasser eingeschwemmt wurden und sich in den Höhlen niedergelassen haben. „Ich glaube, sie sind nicht aktiv reingeschwommen“, sagt die Forscherin.
In den vergangenen 20 000 Jahren - evolutionsbiologisch ein kurzer Zeitraum - haben sich die Fische an das Leben in dunklen Höhlen angepasst. Die Tiere hätten etwa kleine Augen, sagt Jörg Freyhof vom IGB. Dafür seien die Nasenlöcher größer und die Barteln - Fortsätze am Maul - verlängert, damit die Fische besser riechen und schmecken können. Zudem wurden die Pigmentzellen reduziert.
„Im Prinzip könnten Fische auch im Dunkeln coole Farben haben“, sagt Freyhof. „Aber Höhlenlebensräume sind meistens extrem nährstoffarm, das Nahrungsangebot ist sehr gering. Ein Auge zu haben, kostet den Fisch viel Energie. Es muss gebildet und sehr energieaufwendig erhalten werden, ebenso wie die Pigmentzellen. Die Fische sparen im Prinzip alles ein, was möglich ist.“ Es gebe auch innere Anpassungen, sagt Behrmann-Godel. Zum Beispiel hätten manche spezielle Speichermöglichkeiten, um lange Zeiten ohne oder mit wenig Nahrung zu überdauern. „Und es gibt sicher noch eine ganze Reihe anderer physiologischer Anpassungen, die wir uns erst noch angucken wollen.“
Dass der Fisch überhaupt entdeckt wurde, sei im Wesentlichen dem guten Auge von Joachim Kreiselmaier zu verdanken, sagt Behrmann-Godel. Der Höhlentaucher war im Sommer 2015 in der Aachquelle unterwegs, sah den Fisch, wunderte sich und machte sicherheitshalber ein paar Aufnahmen. „Ich hatte starke Lampen dabei, weil ich fotografieren wollte“, sagt Kreiselmaier. „Als ich die Fische angeleuchtet habe, habe ich an der Seite die Blutgefäße durchschimmern sehen. Sie waren deutlich weniger pigmentiert als Seefische. Da war mir klar, das ist was Besonderes.“
Der Höhlentaucher zeigt die Bilder Behrmann-Godel, die ihn bittet, ein lebendes Exemplar zu beschaffen. Das dauert, denn das Tauchen in der Quelle ist kompliziert. Erst maximal 30 Taucher seien an der Fundstelle gewesen, sagt Kreiselmaier. Das Höhlensystem sei stark verzweigt und die Sicht sehr schlecht. Zudem schüttet die Aachquelle pro Sekunde durchschnittlich 8,5 Kubikmeter Wasser aus - an den Fundort der Fische weiter hinten komme man aber erst bei unter vier Kubikmetern. „Das ist nur selten möglich.“ Erst im November 2015 gelingt es dem Taucher, Höhlenfische zu fangen.
Die Wissenschaftler vermuten ohnehin, dass die Hauptpopulation der Höhlenschmerlen nicht am eigentlichen Fundort lebt. „Die sitzen irgendwo in diesem riesigen unterirdischen System“, sagt Behrmann-Godel. Kreiselmaier habe bei seinen Tauchgängen bislang rund 150 Tiere gesehen. „Da mögen vielleicht doppelt so viele sein oder dreimal so viele. Das reicht aber immer noch nicht aus, dass die Population 20 000 Jahre überdauert.“
Bislang haben die Forscher fünf Exemplare. „Das ist natürlich eine sehr geringe Zahl“, sagt Behrmann-Godel. „Wir hoffen, dass wir da irgendwann mehr kriegen.“ Denn der Fund wirft weitere Fragen auf. „Wir möchten ein größeres Forschungsprojekt beantragen. Mich würde zum Beispiel sehr interessieren, ob die Fische andere Verhaltensweisen haben, wenn sie etwa den optischen Sinn nicht mehr nutzen können. Gibt es zum Beispiel noch einen Tag-Nacht-Rhythmus? Interessieren sie sich noch für Verstecke wie die oberirdischen Bachschmerlen? Wie finden sie ihre Nahrung? Wie finden sie ihre Paarungspartner?“