Forscher sammeln Reh-Losung - um den Bestand zu zählen
Börfink (dpa) - Wildbiologe Ulf Hohmann hat die Augen fest auf den Waldboden geheftet. Er ist auf der Suche: nach Kot von Rehen. „Hier!“, sagt er, geht in die Hocke und nimmt die braunschwarze, noch glänzende Losung mit einem Tütchen auf.
„Das ist Frischegrad eins, erst vor kurzem abgelegt“, meint er. Hohmann ist einer von 15 Forschern, die ein fast 5000 Hektar großes Waldstück im Hunsrück rund um Börfink bei Birkenfeld nach Kot absuchen. Mit Hunderten Funden wollen die Wissenschaftler bei einem bundesweit einmaligen Wilderfassungsprojekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) am Ende hochrechnen, wie viele Rehe zwischen Bäumen und Wiesen leben.
Die beschrifteten Tütchen mit den Funden, die an Kaffeebohnen erinnern, kommen erst in eine Gefriertruhe, um später in einem Labor in Kaiserslautern genetisch untersucht zu werden. „Wir erstellen anhand der abgestorbenen Darmepithelzellen, die der Losung anhaften, einen genetischen Fingerabdruck“, sagt Biologin Cornelia Ebert, für die Laboranalyse zuständig. Um herauszufinden, welches Reh genau seinen Kot hinterlassen hat - und ob es weiblich oder männlich war. Die Daten erlauben Rückschlüsse auf den Gesamtbestand in der Region im künftigen Nationalpark.
„Wir machen solche Frischkot-Genotypisierungen bereits seit 2008“, sagt Hohmann, Leiter der Forschungsgruppe Wildökologie an der rheinland-pfälzischen Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft im pfälzischen Trippstadt. Erst mit Wildschweinen, dann mit Hirschen und jetzt mit Rehen. „Wir sind die Ersten, die diese Methode bei diesen Tieren anwenden“, sagt der 50-Jährige. Und zwar inzwischen so gut, dass Wildtier-Kot schon aus dem Saarland, dem Schwarzwald und Österreich bei Ebert ausgewertet wird. Die Methode stamme aus den USA, wo sie zur Erfassung von Grizzlybären angewendet wurde, sagt Hohmann.
Die Kot-Analyse ist nur eine Technik, mit der die Forscher dem Wildbestand auf die Spur kommen wollen. Bei dem Projekt werden Rehe, Wildschweine und Hirsche auch nachts mit Scheinwerfern oder Infrarotkameras vom Auto aus gezählt. Außerdem warten rund 160 fest installierte Fotokameras als Fotofallen auf tierische Modelle. „Sie sind in Metallboxen und sind jeweils mit einem Schild versehen, das über den Zweck der Kamera informiert“, sagt Wildbiologe Julian Sandrini aus Ludwigshafen. Ein Leichtflugzeug erfasst die Tiere mit Infrarotkameras aus der Luft.
„Das Neue bei dem Projekt ist, dass wir fünf verschiedene Techniken im selben Gebiet gleichzeitig ausprobieren, um zu sehen, welche am besten abschneidet“, sagt Hohmann. Aber wieso müssen Wildtiere im Wald überhaupt gezählt werden? „Forstbetriebe erwarten von uns verlässliche Zahlen zu Pflanzenfressern, damit sie ihre Bejagung von Reh und Rothirsch besser managen und planen können“, sagt der Experte. Dazu brauchen sie Daten über den Bestand in ihren Wäldern. „Und wir wollen ihnen helfen, diese Grundlagen zu liefern.“
Denn Wildtiere richteten auch Schäden an: Etwa wenn Hirsche mit ihren Zähnen Eichen schälen oder eine Wildschweinrotte über ein Maisfeld rennt. Hier ein Gleichgewicht zwischen Bestand und Schäden zu finden, sei das Ziel. Klar sei, dass die Zahl der Tiere meist unterschätzt werde. Die Bestände seien in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen.
Das Projekt wird vom Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover geleitet. Daher wurden auch in der Lüneburger Heide Hirsche und Rehe in einem knapp 10 000 Hektar großen Gebiet gezählt. Dort kamen drei Techniken zum Einsatz, sagt Biologin Reinhild Gräber von dem Institut in Hannover: Schweinwerfer, Infrarot und Flugzeug.
Welche Technik am Ende des Projekts, das noch bis 2015 läuft, das Rennen machen wird, ist offen. „Jedes Verfahren hat seine Vor- und Nachteile“, sagt Hohmann. Die Schweinwerferzählung sei günstig, die „Übersehrate“ liege aber bei vielleicht 50 Prozent. Die Frischkot-Analyse dagegen sei teuer, die Fotofallen aus Datenschutz-Gründen schwer umzusetzen. Nicht zu unterschätzen sei die „extrem einfache“ Zählung mit Infrarotkameras: „Da bekommt man sehr gute Einblicke.“