Tierwanderung Glasaale schwimmen nach innerem Kompass und Gezeitenrhythmus
Miami/Storebo (dpa) - Auf ihrer Tausende Kilometer langen Reise durch den Atlantik orientieren sich junge Aale in Küstennähe am Erdmagnetfeld und am Rhythmus der Gezeiten.
Diesem raffinierten inneren Kompass kamen jetzt erstmals Forscher aus den USA, Norwegen und Island auf die Spur, wie sie im Fachjournal „Science Advances“ schreiben. Sie filmten die Ausrichtung der sogenannten Glasaale in einer Beobachtungskapsel sowohl im Meer vor der Küste Norwegens als auch im Labor in einem künstlich erzeugen Magnetfeld.
Bevor ein Europäischer Aal (Anguilla anguilla) in einem europäischen oder nordafrikanischen Gewässer schwimmt, hat er bereits eine 5000 bis 8000 Kilometer lange Reise aus der Sargassosee (Atlantik) in der Nähe der Bermuda-Inseln zurückgelegt. Zunächst ist er dabei eine winzige Larve, nach vielen Monaten dann ein kleiner und noch durchsichtiger sogenannter Glasaal. Nach einigen Jahren oder gar Jahrzehnten schwimmt der ausgewachsene Blankaal schließlich den langen Weg in die Sargassosee zurück - um einmal im Leben zu laichen und dann zu sterben.
Um diesem Orientierungswunder nachzugehen, fing das Team um Meeresforscher Alessandro Cresci (Rosenstiel School of Marine & Atmospheric Science, Miami) zunächst zahlreiche junge Glasaale an einer Flussmündung im norwegischen Austevoll ein. Dann beobachteten die Forscher die Ausrichtung der Tiere im offenen Meer und im Labor.
Das Ergebnis: In der frei im Meer driftenden Beobachtungskapsel richtete sich die große Mehrheit der Fische immer bei Ebbe gen Süden aus, bei Flut hingegen nicht. Auch im Labor - ganz ohne äußere Strömungseinwirkung - behielten die meisten Tiere (71 Prozent) diesen Gezeitenrhythmus bei. Allerdings orientierten sie sich im Labor nach Norden, wenn gerade Flut-Zeit war. Ihre Ausrichtung passten sie dabei an die künstlich erzeugten Magnetfelder an.
Das Team um Cresci schlussfolgert, dass eine Ausrichtung für die Tiere in freier Wildbahn nur bei Ebbe Sinn macht und einer Art inneren Uhr folgt. Bei Ebbe schwimmen die jungen Aale in größere Tiefen gezielt in Richtung Küste, um vom landab strömenden Wasser nicht wieder mit ins Meer gespült zu werden. Bei Flut hingegen sind die Tiere näher an der Oberfläche und lassen sich ohne bevorzugte Ausrichtung einfach gen Küste tragen.
Auf ihrer weiten Wanderung durchs Meer schwimmen die Aale hauptsächlich in Richtung Nordosten oder Osten, um die Küste zu erreichen. Warum richteten sich die von den Forschern gefangenen Aale bei Ebbe dann aber nach Süden aus? Die Autoren glauben, dass das irgendwie mit der Stelle zusammenhängt, an der die Fische gefangen wurden. An der Flussmündung, an der die Forscher die Tiere entnahmen, fließt das Wasser von Süden nach Norden.
„Der magnetische Sinn vieler Tiere ist ein Mysterium. Der sensorische Übertragungs-Mechanismus dafür ist noch nicht entdeckt“, schreibt Cresci. Auch wie die Aale schließlich an ihren Ursprungsort zurückkehren, bleibt ein Rätsel. „Studien mit Satelliten-Tags zeigen, dass sie einer quasi direkten Route folgen.“ Eine mögliche Erklärung dafür sei, dass den Aalen die Lage ihrer Laichgebiete eingeprägt sei und sie dies später als erwachsene Tiere abrufen.
Reinhold Hanel, Aal-Experte und Leiter des Thünen-Instituts für Fischereiökologie, hält die Ergebnisse der Studie für durchaus nachvollziehbar. Bei pazifischen Lachsen oder Meeresschildkröten seien ähnliche geomagnetische Orientierungsfähigkeiten bereits besser belegt.
„Ziemlich klar ist, dass sich die Aale auf ihrem Weg zurück in die Sargassosee weder optisch noch olfaktorisch orientieren können. Die Aale schwimmen auf ihrer Laichwanderung nachts in Tiefen von etwa 200 Metern, tagsüber in Tiefen von 800 bis 1000 Metern“, sagt Hanel. Ein Geruchssignal über die Distanz von mehreren Tausend Kilometern hinweg sei kaum möglich.
Auch wegen der langen Wanderschaften, der späten Fortpflanzung, vor allem aber der Überfischung zählt der Europäische Aal mittlerweile zu den im Bestand bedrohten Tierarten. Versuche, ihn in Gefangenschaft zu züchten oder Glasaale in Flussläufen auszusetzen und neu anzusiedeln, hatten bisher kaum Erfolg.