Herz im Wohnzimmerschrank: 30 Jahre künstlicher Lebensretter

Berlin (dpa) - Zwei Jahre lang trug Frank Baier (Name geändert) zwei Herzen in seiner Brust: Sein eigenes, zu schwaches Herz und ein Kunstherz, das die Arbeit weitgehend übernahm. Das Kunstherz bewahrt Baier inzwischen in seinem Wohnzimmerschrank auf, als Erinnerung.

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„Ich bin froh, dass ich es wieder los bin“, sagt der 50-Jährige. Er gehört zu den nur wenigen Menschen in Deutschland, denen Ärzte die künstliche Pumpe entnommen haben, weil ihr eigenes Herz sich wieder erholt hat. Dabei gibt es hier seit 30 Jahren Kunstherzen.

Anders als andere Muskeln kann sich das Herz bei Untätigkeit regenerieren. Warum das so ist? Darüber rätseln die Ärzte noch. „Beim Herzmuskel gelten andere Mechanismen, die noch nicht alle erforscht sind“, sagt Thomas Krabatsch, Oberarzt am Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB).

Bei Baier hatte das Leiden im Januar 2011 begonnen. „Ich habe mich nicht gut gefühlt, kaum noch Luft bekommen. Da hat meine Frau einen Krankenwagen geholt“, sagt der Berliner. Seine Erinnerung setzte erst wieder ein, als er im Herzentrum aus dem Koma erwachte - einen Monat später. „Meine ersten Gedanken waren: Wo bin ich hier, was liegt da neben mir?“.

Aus Baiers Bauch ragte ein Kabel, das das Kunstherz mit Akkus und Controller verband. Die Geräte steckten in einer Tasche neben seinem Bett. „Ich wollte das Ding sofort wieder loswerden, habe aber langsam verstanden, dass es Tag und Nacht bei mir bleibt“, sagt der ehemalige Händler, der eine schwere Herzmuskelentzündung hatte. „Das Schlimmste war, dass ich nicht mehr duschen und baden durfte.“ Die Gefahr eines Kurzschlusses oder einer neuen Infektion war zu groß.

Auf die Technik konnte er sich verlassen. „Das Gerät hat nie versagt“, so Baier. Er musste die beiden Akkus mit je sechs Stunden Laufzeit nur regelmäßig laden. „Das ging auch während einer Autofahrt mit dem Zigarettenanzünder. Und nachts konnte ich die Akkus an die Steckdose anschließen und ganz beruhigt schlafen“, erinnert er sich.

Es ist noch gar nicht so lange her, da waren Patienten wie er weitaus unflexibler. „Noch vor etwa zehn Jahren wurden die Pumpen mit Kompressoren angetrieben, die so groß waren wie ein Kühlschrank“, erläutert Krabatsch. Und vor 30 Jahren, als Emil Bücherl in Berlin dem ersten Patienten deutschlandweit ein Kunstherz einpflanzte, war an Mobilität gar nicht zu denken.

Das von Bücherl entwickelte „Berliner Kunstherz“ galt damals als eine Sensation, der Arzt als einer der Pioniere auf dem Gebiet. Sein erster Patient, der das Herz am 7. März 1986 bekam, lebte allerdings nur kurz. Nach vier Tagen bekam der 39 Jahre alte Patient ein Spenderherz und starb kurz darauf an Komplikationen.

Seither hat sich viel getan. „Heutzutage können Patienten mit ihrem Herzunterstützungssystem nach Hause gehen, es gibt deutlich weniger Komplikationen und die Laufzeit ist definitiv länger“, sagt der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Kardiotechnik, Johannes Gehron. Früher hätten Patienten bereits nach drei oder vier Jahren erneut mit Problemen wie etwa Schlaganfällen rechnen müssen. „Jetzt wurde an der Medizinischen Hochschule Hannover ein Patient vorgestellt, der schon zehn Jahre komplikationsfrei ist“, berichtet Gehron. Die Zahl der jährlich implantierten Kunstherzen hat sich in Deutschland von 2005 bis 2015 auf 1000 Stück fast verdreifacht.

Idealerweise wird ein Kunstherz später von einem Spenderherz ersetzt. Doch die Zahl der Spender könne längst nicht den steigenden Bedarf decken. Zudem sank die Anzahl der Herztransplantationen nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) 2015 erneut und zwar von 294 im Jahr 2014 auf 283. Im vorläufigen Rekordjahr 1998 waren es noch 526 Herztransplantationen. Die DGTHG befürchtet einen weiteren Abwärtstrend.

Die Ärzte hoffen auf weitere Fortschritte: auf ein total implantierbares Kunstherz. Ein Herzersatz ohne Kabel also, das bei Unfällen quasi ein zweites Mal Leben retten kann. Denn es sei schon vorgekommen, dass Patienten das Kabel unbemerkt in einer Autotür einklemmten und starben, sagt Oberarzt Krabatsch. Oder in einem Stau waren - ohne Möglichkeit, die Akkus zu laden.

Frank Baier freut sich, dass sein Leben nicht mehr von Steckdosen abhängig ist. „Ich wollte damit nicht auf Dauer weiterleben“, sagt er mit Blick auf das Gerät. Er habe Glück gehabt, dass sein Arzt den Eingriff wagte. Am Herzzentrum in Berlin erhielten seit den 1980er Jahren etwa 2250 Patienten eine künstliche Pumpe. Bei 100 davon konnte das Kunstherz wieder entfernt werden. Nur bei drei dieser Patienten war das eigene Herz auf Dauer doch nicht stark genug. „Sie brauchten erneut ein Kunstherz“, sagt Krabatsch.