Letzter europäischer Raumtransporter auf dem Weg zur ISS
Kourou (dpa) - Der letzte europäische Raumtransporter ist auf dem Weg zur Internationalen Raumstation ISS.
Das in Deutschland gebaute Versorgungsschiff startete in der Nacht zum Mittwoch an Bord einer Ariane-5-Rakete ins All. Wenn alles nach Plan läuft, wird es am 12. August am Außenposten der Menschheit in rund 400 Kilometern Höhe über der Erde andocken.
Die sechs ISS-Besatzungsmitglieder, darunter auch der deutsche Esa-Astronaut Alexander Gerst, dürfen sich dann auf frische Lebensmittel und Nachschub an Treibstoff, Wasser und Atemluft freuen. Ganz speziell für Gerst wurden nach Angaben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Konserven mit Käsespätzle, Linsen, Saitenwürstchen und Grießflammeri an Bord des unbemannten Frachters verstaut. Zudem bekommt der 38 Jahre alte Geophysiker neue Sportkleidung, die später für Experimente genutzt werden soll.
Die vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana gestartete Ariane-5-Rakete stellte mit dem Flug einen neuen Rekord auf. Mit einem Gesamtgewicht von mehr als 20,2 Tonnen brachte sie so viel Nutzlast in den Orbit wie nie zuvor. Der Transporter vom Typ ATV (Automated Transfer Vehicle) ist das größte und technisch ausgefeilteste Raumfahrzeug, das je in Europa entwickelt worden ist.
Unter anderem wegen der knappen Kassen in Mitgliedsländern der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) wird es allerdings nicht weiter produziert werden. Künftig ist die ISS-Besatzung deswegen von US-amerikanischen und russischen Transportern abhängig. Am ATV-Produktionsstandort von Airbus Defence and Space in Bremen sollen unteren anderem die Arbeiten an einem Servicemodul (ESM) für das geplante US-Raumschiff „Orion“ die Ausfälle kompensieren. Es wird derzeit auf Basis der Raumfrachter-Technologie entwickelt.
„Mein Wunsch wäre, dass Alexander Gerst als europäischer Astronaut die Perspektive bekommt, mit „Orion“ um den Mond zu fliegen“, kommentierte Volker Schmid, der sich 13 Jahre lang für das DLR um das ATV-Programm kümmerte, am Mittwoch. Das Aus für das Versorgungsschiff sei schade, aber auch die Chance, künftig bei jeder US-amerikanischen Erkundungsmission ins All dabei zu sein.
„Das ATV ist auch sechs Jahre nach seinem ersten Flug ein einzigartiger Raumtransporter, der uns vor Augen führt, was die Esa gemeinsam mit der europäischen Industrie zur Zusammenarbeit und Innovation in Europa beitragen kann“, sage Esa-Chef Jean-Jacques Dordain. „Es ist dieser Erfolg, der die Nasa dazu bewogen hat, für ihr künftiges Mannschaftstransportsystem auf das Versorgungsmodul des ATV zurückzugreifen.“
Zum wissenschaftlichen Teil der Ladung des letzten ATV gehört der experimentelle Laserinfrarotbildsensor „Liris“. Mit seiner Hilfe sollen Lenkungs-, Navigations- und Steuerungssysteme für Anflüge an sogenannte unkooperative Ziele wie Weltraumschrott und Asteroiden entwickelt werden.
Zudem ist unter anderem ein Schmelzofen für die Materialforschung an Bord, der von Gerst eingebaut und getestet werden soll. Die Experimentieranlage beruht auf dem Prinzip der elektromagnetischen Schwebetechnik (Levitation), das es erlaubt, verschiedene metallische Legierungen ohne Kontakt zu einem Gefäß zu schmelzen und zu analysieren. Die Erkenntnisse sollen für die Optimierung von industriellen Gießvorgängen und in der Grundlagenforschung genutzt werden.
Die besonderen Kleidungsstücke für das Fitnesstraining von Gerst werden für ein Experiment mit dem Namen „Spacetex“ verwendet. Vorgesehen ist, die Textilien nach der Nutzung im All auf mikrobiellen Befall und Geruchsentwicklung zu untersuchen. Die Forscher wollen dadurch das Grundwissen über den Wärmeaustausch des Körpers unter extremen Umweltbedingungen erweitern.
Die nach dem belgischen Wissenschaftler und Begründer der Urknall-Theorie „George Lemaître“ benannte ATV-Mission wird insgesamt rund sechs Monate dauern. Am Ende soll der Frachter mit Raumstationsmüll beladen von der ISS abdocken und bei seinem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre über dem Südpazifik verglühen.
Der deutsche Astronaut Alexander Gerst wird das vermutlich nicht mehr aus dem All verfolgen: Den derzeitigen Planungen zufolge kehrt er im November an Bord einer Sojus-Kapsel zurück zur Erde.