Mann erhält in den USA komplett neues Gesicht
Baltimore/New York (dpa) - Die Bilder sind unglaublich: Aus einem Mann wird erst eine entstellte Gestalt und dann wieder ein Mann. Richard Lee Norris hatte sich sein Gesicht weggeschossen, 15 Jahre später bekam er durch ärztliche Kunst ein neues.
Heute lebt er ein normales Leben - zumindest fast.
Norris wollte nur ein Gewehr geraderücken, das in seinem Waffenschrank lehnte. Als er die Schrotflinte anhob, löste sich ein Schuss und fegte dem damals 22-Jährigen das ganze Gesicht weg. Norris überlebte, doch während seine Freunde Familien gründeten, wagte er sich mit seinem zur Karikatur entstellten Gesicht nur noch bei Dunkelheit oder mit Maske raus. Es grenzt an ein medizinisches Wunder, dass Norris in diesem Jahr wieder ein Gesicht gegeben wurde - und sein Leben.
„Die Leute hatten mich wegen meiner Entstellung angestarrt“, sagte Norris der Universität von Maryland zufolge. Ganz übelnehmen kann man das keinem, wenn plötzlich ein Mann ohne Nase, ohne Lippen, ja ohne Kiefer dasteht. Das zerknautschte Gesicht sah fast aus wie aus einem Trickfilm, doch für den jungen Mann war es bitterer Alltag, angestarrt und ausgegrenzt zu werden.
„In den vergangenen 15 Jahren habe ich wie ein Einsiedler gelebt, mich hinter einer Operationsmaske versteckt und bin vorwiegend nachts einkaufen gegangen, wenn nicht so viele Leute unterwegs waren“, sagt er. Acht Jahre nach dem Unfall nahm sich eine Ärztegruppe aus Baltimore bei Washington des Mannes an, doch es dauerte noch einmal sieben Jahre bis zur Operation.
Ein beeindruckender Eingriff: In einer 36-Stunden-OP mit 150 Ärzten und Schwestern gaben die Mediziner Norris im März ein ganzes Gesicht, beide Kieferknochen, Zunge und Zähne zurück. Seit dem ersten spektakulären Fall im November 2005 hat es schon gut zwei Dutzend Gesichtstransplantationen gegeben, aber keine war nach Angaben der Ärzte so umfangreich wie diese.
„Auch die Weichteile von der Kopfhaut bis zum Hals, inklusive der darunterliegenden Muskeln haben wir übertragen, um Gesichtsausdrücke zu ermöglichen“, hatte Chefarzt Eduardo Rodriguez gesagt. Die Nerven wurden verbunden, um Gefühl und Funktion zu haben. Es war kein künstliches Gesicht - alles hatte zuvor einem Mann gehört, dessen Hinterbliebene die Körperteile freigegeben hatten.
Unmittelbar nach der Operation wirkte Norris wie ein Boxer nach einem Kampf mit geschwollenen Augen, ungelenken Lippen und grobem Gesicht - aber mit einem Gesicht! Sieben Monate später würde man Norris bei einer Unterhaltung an der Bar oder im Bus seine Vergangenheit kaum glauben: Das Gesicht sieht normal aus, wie das eines Enddreißigers eben aussieht.
„Ich kann jetzt an Leuten vorbeigehen, ohne dass mich jemand eines zweiten Blickes würdigt“, sagt Norris. So aufregend kann Normalität sein. „Mir geht es gut. Ich verbringe viel Zeit beim Angeln und dabei, mein Golfspiel zu verbessern.“
Das Leben des 37-Jährigen besteht noch aus Nachuntersuchungen und Therapien, etwa um das Spiel seines Gesichts zu trainieren. Denn noch beherrscht die rechte Seite nur 80 Prozent ihrer motorischen Funktionen, die linke gar erst 40 Prozent. Aber Norris kann wieder schmecken und riechen. Und er kann schon wieder etwas, was er 15 Jahre nicht konnte: Lächeln.