Richard Fuchs: „Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen“

Die Zahl der Organspender ist 2017 auf ein historisches Tief gesunken. Richard Fuchs kritisiert in seinem neuen Buch den Umgang mit der Hirntod-Diagnose.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Unter einer Million Menschen in Deutschland haben 2017 weniger als zehn nach ihrem Tod Organe gespendet. Dabei brauchen mehr als 10.000 Menschen eine Spende, die Leben retten kann. Die Feststellung des Hirntods ist Voraussetzung für eine Organverpflanzung. Der Düsseldorfer Richard Fuchs beleuchtet in seinem neuen Buch die Problemfelder der Transplantationsmedizin.

Herr Fuchs, von Hause aus sind Sie Werber, jetzt schreiben Sie über das schwierige Thema Organspende. Wie kam es dazu?

Fuchs: Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit Themen wie Sterbehilfe, Agro-Gentechnik und Organtransplantationen, weil auf diesen Gebieten Informationen verbreitet werden, die nicht immer unbedingt der Wahrheit entsprechen. Das hat mich geärgert und animiert, mich damit zu befassen. Das Transplantationsgesetz trat 1997 in Kraft. 1995/96 wurde während des Gesetzgebungsverfahrens sehr kontrovers diskutiert. Ich besuchte alle Anhörungen. Es wurde im wahrsten Sinn aufgeklärt, was heute nicht mehr unbedingt der Fall ist.

Es mangelt also an Aufklärung? Oder warum ist die Zahl der Organspenden so drastisch zurückgegangen?

Fuchs: Das hat sicher mehrere Gründe. Zum einen ist die Skepsis in der Bevölkerung nach den Skandalen gewachsen. Im Gegensatz zur Blutspende wird etwas hergegeben, das eine große Bedeutung für den Einzelnen hat. Dann hat das auch mit den Finanzen zu tun. In den Entnahme-Kliniken gibt es nicht ausreichend große Rückvergütungen für den Aufwand, der dort betrieben werden muss, um die Diagnose „Hirntod“ zu stellen und die Menschen bis zur Organentnahme intensivmedizinisch zu betreuen.

Sie sparen nicht mit Kritik. . .

Fuchs: Viele Aspekte der Transplantationsmedizin sind aus meiner Sicht nicht in Ordnung. Wie etwa der Umstand, dass wir eine erweiterte Zustimmungslösung haben. Das heißt also, wenn jemand selbst keinen Organspendeausweis hat, dann haben die Angehörigen die Möglichkeit einer Zustimmung. Damit spenden sie etwas, was ihnen nicht gehört. Das gibt es in keinem anderen gesellschaftlichen Bereich, dass man das Gut oder sogar das Leben eines anderen spendet. Ganz gravierend finde ich die Tatsache, dass der so genannte Hirntod als Tod des Menschen festgeschrieben wurde. Im Gesetz steht allerdings an keiner Stelle der Begriff Hirntod. Das ist deswegen problematisch, weil diese Menschen, bei denen die Diagnose gestellt wurde, keine verstorbenen Menschen sind, sondern Sterbende.

Was müsste sich strukturell im System ändern?

Fuchs: Die Transplantationsmedizin sollte von staatlichen Stellen und nicht von privaten Stiftungen organisiert werden. Es sollte nur eine enge Zustimmungslösung gelten. Das heißt, es sollte nur derjenige Organspender sein, der auch selbst einen Organspendeausweis unterschrieben hat.

Ist der Hirntod ein hinreichendes Kriterium, um Organe zu entnehmen?

Fuchs: Gesetzlich ja, meines Erachtens aber nein. Ungeregelt bleibt auch, ob die noch lebenden Organspender vor der OP Schmerzmittel bekommen.

Sind Sie persönlich für oder gegen eine Organspende?

Fuchs: Ich lehne eine Organspende persönlich ab und möchte auch keinen Organersatz bekommen. Einfach aus prinzipiellen Gründen. Man weiß nicht, was passiert, wenn eine Hirntod-Diagnose gestellt wird. Ob sie sicher ist und ob ich Schmerzen empfinden würde. Ein hirntoter Mensch ist nicht tot, sonst würde man keine lebendfrischen Organe entnehmen können. Die Beatmung wird erst ganz zum Schluss abgestellt, bis dahin ist der Mensch durchblutet.

Ihr Buch heißt die Hirntodfalle. Wie ist der Titel zu verstehen?

Fuchs: Die Falle sehe ich darin, dass die Menschen, die gutwillig einen Spendeausweis unterschreiben, überhaupt nicht aufgeklärt werden. Normalerweise ist es in der Medizin so, dass erst nach Aufklärung und Zustimmung eine ärztliche Behandlung stattfinden darf. Darauf verzichtet man hier aber bewusst.