Satellit „GOCE“ zerbrochen
Frascati (dpa) - Der Satellit „GOCE“ ist am frühen Morgen nach vierjähriger Mission in der Atmosphäre verglüht. Er sei um 01.23 Uhr MEZ über dem südlichen Atlantik südlich der Falklandinseln zerborsten, teilte die Europäische Raumfahrtbehörde Esa im italienischen Frascati mit.
Der fünf Meter lange und 1,1 Tonnen schwere Satellit zerbrach in mehrere Teile. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass etwa ein Viertel der Masse die Erdoberfläche erreichte. „Wir werden nie wissen, wie viele Teile es waren“, sagte der Esa-Sprecher für Erdbeobachtungen, Robert Meisner. Wie erwartet habe es keine Schäden gegeben.
Die Gefahr von einem herabfallenden Teil getroffen zu werden war nach Esa-Angaben extrem gering - ein Lottogewinn sei 250 000 Mal wahrscheinlicher, hatte es geheißen. Dennoch hatten italienische Medien teils vor den Teilen gewarnt. Wer besonders vorsichtig sein wolle, solle besser im Haus bleiben, schrieb etwa der „Corriere della Sera“ am Sonntag unter Berufung auf den Zivilschutz.
Dutzende Satelliten endeten bereits ähnlich, ohne dass es Unfälle gab. „Der eine Tonne schwere GOCE-Satellit macht nur einen Bruchteil der 100 bis 150 Tonnen an vom Menschen produzierten Weltraumobjekten aus, die jedes Jahr einen Wiedereintritt in die Erdatmosphäre vollführen“, sagte der Leiter des Esa-Büros für Weltraumtrümmer, Heiner Klinkrad. „In den 56 Jahren seit Beginn der Raumfahrt sind etwa 15 000 Tonnen an von Menschenhand gemachten Weltraumobjekten wieder in die Erdatmosphäre eingetreten, ohne dass jemals Menschen verletzt wurden.“
„GOCE“ hatte ein neues Bild der Erde gezeichnet. Mit hunderten Millionen Messungen des Gravitationsfeldes der Erde lieferte er ein weltweites einheitliches zentimetergenaues Höhenprofil. Unter anderem können damit Höhenangaben von Bergen vereinheitlicht und Probleme bei Bauvorhaben besser gelöst werden. Die Daten zeigen den Anstieg des Meeresspiegels, die Eisdynamik und Ozeanströmungen, die für Klimamodelle wichtig sind. „GOCE“ registrierte etwa auch für das menschliche Ohr unhörbare Infraschallwellen, die das schwere Erdbeben im März 2011 in Japan ausgelöst hatte.
Der Satellit war für die Messungen in einer sehr niedrigen Umlaufbahn unter 260 Kilometern Höhe unterwegs. Um sich möglichst lange in dem niedrigen Orbit halten zu können, hatte er eine pfeilartige aerodynamische Form - und wurde deshalb auch „Ferrari des Alls“ genannt. Er lieferte hier auch neue Erkenntnisse über Luftdichte und Windgeschwindigkeiten in der oberen Atmosphäre.
In immer gleicher Höhe über der Erde ermittelte der Satellit die unterschiedliche Erdanziehung mit feinen Beschleunigungsmessern. Das Ergebnis: Die Erde ist nur annähernd eine Kugel. In zehntausendfacher Übersteigerung sieht sie vielmehr aus wie eine Kartoffel. Die unterschiedliche Stärke des Schwerefeldes bewirkt auf den Ozeanen Wölbungen und Eindellungen.
Der Meeresspiegel bietet keineswegs einen einheitlichen Höhen-Nullpunkt. Da sich die Franzosen auf den Pegel in Marseille, die Engländer auf jenen in Newlyn und die Deutschen auf Amsterdam beziehen, haben die Länder keinen gemeinsamen Nullpunkt.
Die US-Mission „GRACE“ hatte bereits ähnliche Ergebnisse erbracht. Die Genauigkeit von „GOCE“ ist aber weit größer. Mitte nächsten Jahres wollen die Wissenschaftler die letzte Auswertung vorlegen. Die Höhengenauigkeit soll dann nach Angaben der koordinierenden Technischen Universität München bei zwei Zentimetern liegen. Die Abkürzung GOCE steht für Gravity Field and Steady-State Ocean Circulation Explorer.
„GOCE“ sollte ursprünglich nur eineinhalb Jahre in der Umlaufbahn kreisen. Doch wegen geringer Sonnenaktivität reichte der Treibstoff fast dreimal so lang. Eine hohe Aktivität hätte den Satelliten früher abgebremst. Am 21. Oktober ging der Sprit endgültig aus. Seitdem warteten die Forscher auf den Wiedereintritt in die Atmosphäre - doch auch hier ließ sich der Satellit mehr Zeit als erwartet: Anstatt nach zwei verglühte hat er erst nach drei Wochen.