Wertvoll für die Bodenbildung WWF: Regenwürmer sind ein vernachlässigter Bodenschatz
Berlin (dpa) - Für die Ernährung der Menschheit sind sie von immenser Bedeutung - beachtet oder gar geschützt werden Regenwürmer dennoch kaum. Auch in Deutschland sei es um die Bodenlebewesen vielerorts schlecht bestellt, warnt die Naturschutzorganisation WWF in einem „Regenwurmreport“.
„Wenn die Regenwürmer leiden, leidet der Boden und damit die Grundlage für unsere Landwirtschaft und Ernährung“, erklärte Birgit Wilhelm, Landwirtschaftsreferentin beim WWF Deutschland. Von den bundesweit 46 bekannten Regenwurmarten sind demnach mehr als die Hälfte als „sehr selten“ oder „extrem selten“ eingestuft.
Regenwürmer zählen wohl zu den unterschätztesten Lebewesen überhaupt, was ihre Bedeutung für den Menschen angeht: Bei der Bodenbildung spielen sie eine ganz entscheidende Rolle, ihr Dung ist einer der besten Dünger - es gibt riesige Wurmfarmen, die die Tiere eigens züchten und den Kot teuer verkaufen.
Gute Böden bringen bessere Ernten, gerade angesichts des weltweiten Bevölkerungswachstums ist dies ein immens wichtiger Faktor. Es gelte, politisch und gesellschaftlich eine humusaufbauende und bodenschonende Landwirtschaft stärker zu fördern, so der WWF.
Schädlich für die Würmer sind demnach etwa Monokulturen, Gülle-Ammoniak und zu viel Bodenbearbeitung. „In den meisten Äckern leben durchschnittlich nur drei bis vier, maximal zehn verschiedene Arten“, schreibt der WWF. Auch die absolute Bestandszahl sei gering: Mit eintöniger Fruchtfolge und starkem Maschinen- und Chemieeinsatz sinke sie auf unter 30 Tiere pro Quadratmeter. „Der Durchschnitt in kleinstrukturierten Äckern liegt bei rund 120 Exemplaren, auf wenig gepflügten Öko-Äckern können über 450 Würmer gezählt werden.“
Für die intensiv bewirtschafteten Flächen hat der Wurmmangel Folgen: Kompakte, schlecht durchlüftete Böden nehmen weniger Wasser auf und leiten es weniger gut weiter. Hinzu könnten faulende Erntereste oder eine zu langsame Nährstoffrückgewinnung und Humusbildung kommen, heißt es in dem Report. „Ohne Regenwürmer ist der Boden lahm“, erklärte Wilhelm. „Um trotzdem noch gute Erträge vom Acker zu bekommen, wird mit viel Dünger und Pestiziden von außen nachgeholfen, was wiederum oft den Würmern schadet. Es ist ein Teufelskreis.“
Doch nicht nur auf die Ernten wirke sich Regenwurmarmut aus, betont die Organisation: Ein Boden mit sehr vielen Regenwürmern nehme dank der vielen Röhren im Untergrund bis zu 150 Liter Wasser pro Stunde und Quadratmeter auf, ein verarmter hingegen reagiere auf Regen wie ein verstopftes Sieb. Das verstärke die Hochwassergefahr - im Zuge des Klimawandels mit regional mehr starken Regenfällen könnte das noch bedeutsamer werden als jetzt schon.
Bodenorganismen können mehrere Tonnen Gewicht je Hektar ausmachen, etwa ein Fünftel dieser Masse stellen die Regenwürmer. Von den mindestens 46 verschiedenen Arten in Deutschland kommt eine nur hierzulande vor: der bis zu 60 Zentimeter lange Badische Riesenregenwurm (Lumbricus badensis), der im südlichen Schwarzwald lebt. Nicht so groß, aber eine schillernde Persönlichkeit ist Aporrectodea smaragdina, ein in den bayerischen Alpen lebender, leuchtend grüner Wurm.
Den meisten Menschen bekannt ist der Tauwurm (Lumbricus terrestris), der zu den tiefgrabenden Regenwürmern zählt. Die Tiere buddeln bis zu zwei Meter in den Boden reichende Wohnröhren. An der Oberfläche suchen sie nach Pflanzenmaterial, ziehen es in ihre Röhren und bringen so Nährstoffe in die Tiefe. Von der Getreideernte bis zur Einsaat im Folgejahr können Regenwürmer mehrere Tonnen Stroh pro Hektar in den Boden einarbeiten, ergaben Analysen. Auch Sauerstoff gelangt so in die Tiefe, zudem wurzeln Pflanzen an den Röhrenwänden entlang nach unten.
Regenwürmer werden erst nach etwa einem Jahr geschlechtsreif und legen oft nur 15 bis 30 Eier jährlich. Darum dauert es lange, bis sich eine einmal dezimierte Population wieder erholt. Auch Zuwanderung vom Nachbarfeld gibt es kaum: „Obwohl es schwierig ist, die Geschwindigkeit eines Wurms in freier Natur zu messen, wissen wir, dass Gemeine Regenwürmer nur wenige Meter pro Jahr wandern“, schreibt die Naturautorin Amy Stewart in ihrem Buch „Der Regenwurm ist immer der Gärtner“.