Arbeiter-Samariter-Bund Wünschewagen: Ehrenamtliche erfüllen Wünsche von Sterbenskranken

Wenn das Leben zu Ende geht, bleiben oft noch Träume, die verwirklicht werden wollen. Ein Projekt des ASB hilft dabei.

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Essen. Noch einmal kämmt er vorsichtig das Haar seiner Frau und legt es zurecht. Auch beim Schminken geht er ihr zur Hand. Dann suchen sie zusammen etwas Schönes zum Anziehen aus. Heute ist ein besonderer Abend. Heiligabend. Es wird ihr letzter gemeinsamer sein. Sie hat einen tödlichen Gehirntumor. Gerade deswegen war es ihr wichtig, Weihnachten noch einmal mit ihren fünf Kindern zu verbringen. Auch wenn das einigen Aufwand mit sich bringt.

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„Das war, glaube ich, die emotionalste Fahrt, die ich mitgemacht habe“, sagt Edeltraud Müller. Gemeinsam mit Julia Wicher, Sandra Müller und Cornelia Scharnowski arbeitet die 74-Jährige ehrenamtlich im Team des Wünschewagens des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). Durch Spenden finanziert, wird damit sterbenskranken Menschen ermöglicht, sich einen letzten Wunsch zu erfüllen.

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„Die Wünsche sind so verschieden wie die Menschen, die sie haben“, sagt Sandra Müller (49). Häufig wollten die Fahrgäste noch einmal ans Meer fahren. Andere wünschten sich, bei der Hochzeit oder Taufe eines Angehörigen dabei sein zu können, wieder andere wollten einen Tag mit der Familie im Zoo oder Freizeitpark verbringen. Zum Teil seien die Wünsche aber auch noch bescheidener. Einmal Kaffeetrinken am Baldeneysee, einmal noch den Bruder zum Abendessen einladen, endlich noch den jahrelangen Streit mit der Schwester beilegen.

„Der Transport des Kranken ist meist das Nadelöhr, das es für Angehörige schwierig macht, einen Wunsch zu erfüllen“, sagt Sandra Müller. Gerade bei Schwerstkranken, die ständig versorgt werden müssen, trauten es sich die Angehörigen nicht zu, alleine loszufahren. Was, wenn unterwegs etwas passiert?

Dieses Problem will der Wünschewagen lösen. Er ist ausgestattet wie ein normaler Krankentransportwagen, mit an Bord sind immer ein Rettungsassistent und eine Pflegekraft — auch die vier Ehrenamtlichen haben beruflich einen medizinischen Hintergrund. Das medizinische Equipment ist im Wagen aber in Schränken verstaut, ein großes Panoramafenster bietet eine gute Sicht nach draußen. „Es ist alles ein bisschen gemütlicher. Das Erlebnis soll an diesem Tag im Mittelpunkt stehen — nicht die Krankheit“, sagt Cornelia Scharnowski (49). Das bemerke man auf beiden Seiten. „Es ist interessant zu beobachten, wie viel Energie diese schwerkranken Menschen an so einem Tag noch einmal aufbringen können“, sagt auch Sandra Müller. Plötzlich kämen sie eine zeitlang ohne Sauerstoffflasche aus oder fragten viel weniger nach Bedarfsmedikation.

Und auch von der Gestaltung des Tages weicht so ein Wunschtag ab. „Oft sage ich am Anfang: Sie sind heute Chef, Sie dürfen heute bestimmen“, sagt Sandra Müller. Im Alltag eines sterbenskranken Menschen sehe das oft anders aus. Meist seien sie umgeben von Leuten, die wissen und bestimmen, was gut für sie ist. Am Wunschtag dürften sie wieder einmal selbst entscheiden. „Mal wieder herzhaft in eine heiße Bratwurst beißen — das kommt oft vor“, sagt Edeltraud Müller. Sogar bei Patienten, die schon per Sonde ernährt werden — also gar nicht mehr selbst essen. Auch eine Zigarette sei an so einem Tag ausnahmsweise erlaubt.

Doch auch wenn die Krankheit in den Hintergrund rückt: Allen ist klar, warum die Fahrt gemacht wird. „Manche sind auch erleichtert, dass sie mit uns offen über den Tod sprechen können“, sagt Sandra Müller. Gerade für die Angehörigen sei das oft wichtig. Denn der Tod sei unter Menschen, die damit noch nie so direkt in Berührung gekommen sind, immer noch ein Tabuthema.

„Es kommt auch vor, dass ich mal mitweine“, sagt Julia Wicher ehrlich. Mit 26 Jahren ist sie die Jüngste im Team. Sie hat oft bemerkt, dass man an so einem Wunschtag eng mit den Fahrgästen zusammenwächst. Müsse man sich morgens bei der Abfahrt erst noch beschnuppern, gehöre man Abends fast schon zur Familie. Das unterscheide diese Fahrten von der Arbeit im Krankenhaus, wo sie sonst arbeitet.

Mit der Arbeit lasse sich das Ehrenamt gut verbinden. Je nach Dienstplan könne man sich melden, bei welchen Fahrten man Zeit habe. In der Gruppe von Ehrenamtlichen sind auch ein paar Rentner — wie Edeltraud Müller. Die springen ein, wenn sonst niemand kann. „Wir wollen, dass alle Wünsche erfüllt werden können“, sagt Cornelia Scharnowski. Manche der Gäste fieberten richtig auf ihre Fahrt hin. Es komme auch vor, dass sie kurz nach ihrem Wunschtag sterben — als hätten sie noch durchhalten wollen, bis der Wunsch erfüllt ist.

Auch bei der Dame, die Edeltraud Müller zum Weihnachtsfest mit ihren Kindern gebracht hat, hat es nur gerade so noch gereicht. Kurz nach dem Jahreswechsel starb sie an ihrem Tumor.