"Fundbüro 2" in Zürich Wut verloren, Glück gefunden - Fundbüro für immaterielle Dinge

Zürich (dpa) - Irgendwie sonderbar: „Fundbüro 2“ steht an dem Pavillon mitten in Zürich, aber als eine Frau dort ihre Haarspange als vermisst melden will, klärt Andrea Keller sie freundlich auf.

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„Hier kann man nur immaterielle Dinge melden“, sagt sie. „Zum Beispiel Geduld oder Glück.“ Die Frau ohne Haarspange schaut etwas verwirrt und zieht sich zurück.

Das Fundbüro auf dem Werdmühleplatz ist Kellers Idee, einer Werbetexterin und Gestalterin, und von Kulturmanager Patrick Bolle. In dem Pavillion wurden früher Theaterkarten verkauft, jetzt hat die Stadt ihn Kulturschaffenden für zwei Jahre für Kunstprojekte zur Verfügung gestellt. Sie hatten den Geistesblitz, als sie das Häuschen in Augenschein nahmen. Ganz in der Nähe befindet sich das echte Fundbüro. Die beiden wollen Erlebtes und Herzenswünsche sammeln. Wut, Einsicht, Liebe, Trauer, Gewissheit - der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Es soll ein Archiv der Träume entstehen.

An diesem Tag machen ein paar Vorbeikommende ganz spontan eine Meldung, andere haben vom Fundbüro gehört und sind mit vorbereiteten Ideen gekommen. „Ich habe das Bedürfnis nach Besitz verloren“, sagt zum Beispiel Annette Fink (40). Die deutsche Pädagogin lebt und arbeitet seit neun Jahren in der Schweiz. „Ich bin gerade in ein kleines WG-Zimmer gezogen und musste viel wegtun, da habe ich gemerkt, dass mir das gut tut“, erzählt sie.

„Ich habe den Impuls zu Veränderungen verloren“, sagt Nathalie Kaufmann (50), in der Materialbeschaffung für Events tätig. „Ich bin zu sehr im Alltagstrott gefangen.“ Ein Vater ist mit seinen Kindern gekommen: „Ich habe die Geduld mit den Rauchern verloren“, sagt seine achtjährige Tochter.

Ein „Schalterbeamter“ nimmt die Meldungen auf und füllt auf dem Computer ein Formular aus: Wo haben sie xy verloren oder gefunden? Möchten Sie es wieder haben? Und ähnliches. Einige Meldungen sind auf der Webseite des Projekts zu finden. Der Schalter ist bis Ende des Jahres einmal im Monat besetzt. Verlust- und Fundmeldungen können aber jederzeit im Internet gemacht werden. Im Sommer will Keller eine Lesung machen, und am Ende des Projekts soll ein Buch entstehen.

„Wenn ich ein Gefühl in Worte fasse, dann sortiere ich“, sagt sie. „Das ist wie Tagebuchschreiben, man entdeckt, wie man mit dem Problem umgehen kann.“ Annette Fink dachte sogar an Beichte. „Sich hier zu äußern, das hat einen besonderen Rahmen, das ordnet die Gedanken“, sagt sie. „Es tut gut, die Dinge mal ausgesprochen zu haben“, meint Nathalie Kaufmann. „Daraus entsteht vielleicht etwas Neues.“

Schalterbeamter ist an diesem Samstag der Schriftsteller Thomas Meyer. Der Autor war gleich begeistert von dem Projekt, und hat selbst schon eine Verlust-Meldung gemacht: „Ich habe die Bereitschaft verloren, mich schlecht behandeln zu lassen“, sagt er kurz vor Beginn seiner Dienstzeit auf einer Bank am Baum vor dem Fundbüro. Meyer hasst Smalltalk und schätzt, wie schnell es hier mit den Kunden persönlich wird. „Es tut vielen gut, sich gegenüber jemandem, der neutral ist, etwas von der Seele zu sprechen“, sagt er.

Keller hat berührende Momente erlebt, etwa eine Frau, die von ihren Fehlgeburten erzählte und die die Hoffnung verloren hatte, je Mutter zu werden. Ein Kind hat erzählt, wie es die Angst vor dem Keller verloren hat. Oder ein älterer Mann, der einer eifersüchtigen Frau stets treu war. Nun hat er feststellt, dass er im Alter die Flirts, die seine Frau ihm immer angedichtet hatte, nie mehr wirklich erleben wird, weil er für die jungen Frauen nur noch Luft ist.

Von den bislang rund 200 Meldungen waren Zweidrittel Verlustmeldungen, sagt Keller. Auch, wenn Verlust super sein könne, ewa bei Angst, kämen die meisten Besucher mit Bedauern. Meist gehe es um Gesundheit, Glaube, Liebe. An diesem Tag kommt schließlich noch eine positive Nachricht: „Ich habe meine Zuversicht wiedergefunden“, sagt ein strahlender Student, der spontan zum Schalter gegangen war.