Analyse: Mafia wandert gen Norden

Italienische Fahnder haben mehr als 150 Mafiosi festgenommen — vor allem in Turin.

Rom/Mailand. Das Klischee, dass die neapolitanische Camorra oder die sizilianische Cosa Nostra nur im tiefen Süden ihr Unwesen treiben, gehört schon lange der Vergangenheit an: Die streng organisierte Kriminalität hat mehr noch als anderswo im reichen italienischen Norden neue Wurzeln geschlagen. Und die kalabrische ‘Ndrangheta ist nicht zuletzt auch in Deutschland am Werk.

Am Mittwoch rückten die Mafia-Jäger mit nicht weniger als 151 Haftbefehlen an, vor allem im Norden mit Schwerpunkt Turin. Inzwischen kann keiner mehr die Augen verschließen. TV-Sendungen und Bücher, etwa von dem bekannten Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano, klären darüber auf, wie stark die „Krake“ Mafia mittlerweile ihre gierigen Tentakel über den Norden gelegt hat.

Aber die Justiz und die Staatsgewalt schlagen zurück, verkünden wöchentlich erfolgreiche Schläge gegen die Mafia. So begann bereits im Mai in der lombardischen Wirtschaftsmetropole Mailand der Prozess gegen 39 mutmaßliche ‘Ndrangheta-Mitglieder. Ein zweiter Prozess gegen 119 der im Juli vergangenen Jahres verhafteten Mafiosi geht am Donnerstag los. Die Anklage: Von der Bildung einer kriminellen Vereinigung über den Waffen- und Drogenhandel bis hin zu Wucher, Betrug und Erpressung. Gelegentlich kommen noch Morde hinzu.

„Die Lombardei ist die Region mit der höchsten Rate an kriminellen Investitionen in Europa“, hält Saviano („Gomorrha“) fest. Er vermutet mafiöse Infiltrationen bei Straßenbau, bei Immobilien und denkt wohl nicht zuletzt an das Geld, das man in Mailand rund um die Expo-Weltausstellung 2015 verdienen könnte. „Leider sind die kriminellen Organisationen in diesem Land die wirtschaftliche Avantgarde“, meint Saviano. Das verspricht denen wenig Gutes, die den Clans den Garaus machen wollen.

Die kalabrische ‘Ndrangheta, die lange im Schatten der Camorra und der Cosa Nostra stand, ist so zum „Marktführer“ in der „Mafia AG“ avanciert. Kriminelle Geschäfte macht sie im Piemont wie in der Emilia Romagna, aber auch in Ungarn und Portugal. Auch in Deutschland ist die Mafia tief verwurzelt. Aber man will es nicht wahrhaben, meint die Anti-Mafia-Autorin Petra Reski — und das trotz sechsfacher Duisburger ‘Ndrangheta-Morde.