Vor Berlin-Besuch Yildirims Bewegung im Fall Deniz Yücel

Istanbul/Belgrad (dpa) - Ein Jahr nach der Festnahme des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel kommt nach Einschätzung sowohl der deutschen als auch der türkischen Regierung Bewegung in den Fall: „Ich bin relativ optimistisch, dass wir doch jetzt bald zu einer Gerichtsentscheidung kommen.“

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Das sagte Außenminister Sigmar Gabriel bei einem Besuch in Belgrad. „Und ich hoffe natürlich, dass die positiv für Deniz Yücel ausgeht.“ Ähnlich äußerte sich der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim vor einem Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin an diesem Donnerstag.

Yildirim sagte den ARD-„Tagesthemen“ zu der Frage, wann Deniz Yücel freikommen könnte: „Ich hoffe, dass er in kurzer Zeit freigelassen wird. Ich bin der Meinung, dass es in kurzer Zeit eine Entwicklung geben wird.“ Yildirim betonte allerdings, dass nicht die türkische Regierung, sondern die Justiz darüber entscheide. Yücel wurde am Mittwoch vor genau einem Jahr festgenommen. Anschließend wurde wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft gegen den deutsch-türkischen Journalisten verhängt. Eine Anklage liegt weiterhin nicht vor.

Gabriel sagte, Yildrim habe „nur das bestätigt, was seit Tagen passiert und Wochen“. Deutschland habe immer wieder darum gebeten, dass die unabhängige Gerichtsentscheidung in der Türkei vorangetrieben wird. „Die Ankündigung des Premierministers zeigt, dass diese Gespräche offensichtlich erfolgversprechend sind.“

Wie Gabriel deutete auch Yildirim an, dass nun doch ein Gerichtsverfahren eröffnet werden könnte - wofür die Staatsanwaltschaft allerdings zunächst eine Anklageschrift vorlegen müsste. „Wenigstens wird er vor Gericht erscheinen und jede Verhandlung ist eine Chance, damit er freikommt“, sagte der Ministerpräsident. „Die Türkei ist ein Rechtsstaat. In Rechtsstaaten entscheiden die Gerichte über die Prozesse.“ Die EU und die Bundesregierung beklagen seit langem eine Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei.

Der Fall Deniz Yücel ist der größte Streitpunkt in der Krise zwischen Berlin und Ankara. Yildirim sagte nun: „Lasst uns eine neue Seite aufschlagen, die Vergangenheit vergessen, in die Zukunft blicken und unsere Beziehungen noch weiter ausbauen.“ Mit Merkel werde er am Donnerstag „alle Themen ohne Zensur“ besprechen. Aus Sicht der Bundesregierung ist eine Normalisierung der Beziehungen zu Ankara nicht möglich, solange Yücel ohne Anklage inhaftiert ist.

Für die Freilassung Yücels durch ein türkisches Gericht gäbe es zwei Wege:

- Das Verfassungsgericht: Dort hat Yücel Beschwerde gegen seine U-Haft eingereicht. Das Oberste Gericht könnte jederzeit entscheiden. Die Regierung hatte das Verfassungsgericht im Januar für seine Anordnung kritisiert, zwei andere regierungskritische Journalisten freizulassen. Nach der Kritik hatten sich untergeordnete Gerichte geweigert, die Entscheidung umzusetzen - die Journalisten sind weiter in U-Haft. Im Fall Yücel hat Yildirim nun aber ausdrücklich gesagt, dass er sich dessen Freilassung erhofft.

- Ein Strafgericht: Sobald eine Anklageschrift vorliegt, könnte ein Strafgericht das Verfahren eröffnen (oder die Anklage verwerfen). Das Gericht entscheidet zum Auftakt des Prozesses und in regelmäßigen Abständen, ob der Angeklagte weiter in U-Haft bleiben muss. Im Oktober verfügte ein Gericht die Freilassung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner und verhängte keine Ausreisesperre. Steudtner konnte ausreisen, obwohl der Prozess weiterläuft.

Yildirim ist zwar formell Regierungschef, maßgeblich ist aber Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Erdogan hatte Yücel nach dessen Inhaftierung als „deutschen Agenten“ und „Terrorist“ bezeichnet. Yildirims neue Aussagen dürften mit Erdogan abgesprochen sein.

Gabriel machte deutlich, dass die neue Entwicklung im Fall Yücel das Ergebnis langwieriger Verhandlungen war. „Wir haben alles dafür getan in den letzten Tagen und Wochen durch persönliche Gespräche, das Verfahren zu beschleunigen.“ Er habe in den vergangenen Tagen und Wochen mehrere Gespräche mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu über den Fall geführt. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sitzen derzeit noch sechs Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei in Haft. Die Bundesregierung fordert ihre Freilassung.