USA Black Lives Matter versus Blue Lives Matter
Black Lives Matter steht nach dem Dallas-Attentat unter Rechfertigungsdruck. die Bewegung gegen Polizeigewalt distanziert sich von Attentäter. Unterdessen sammeln sich Polizisten zur Gegenwehr.
Washington. Das Attentat von Dallas hat die Protestbewegung Black Lives Matter (Das Leben von Schwarzen zählt) in eine schwere Krise gestürzt. Die Graswurzelbewegung, die die Polizeigewalt gegen Afroamerikaner anprangert, sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, sie trage eine Mitverantwortung für den Tod der fünf Polizisten - und dies, obwohl Black Lives Matter im Gegensatz zu manchen militanten Schwarzenorganisationen nicht zu Gewalt gegen Polizisten aufruft.
Die Kundgebung der Bewegung am Donnerstag in der texanischen Millionenmetropole zum Tod zweier junger Afroamerikaner durch Polizeikugeln war denn auch völlig friedlich verlaufen - bis die Schüsse aus dem Hinterhalt fielen. Der Heckenschütze Micah Xavier Johnson bezeichnete sich nach Polizei-Angaben selbst als Einzeltäter ohne Verbindung zu irgendwelchen Organisationen, bevor ihn die Einsatzkräfte in die Luft sprengten.
Dies alles hält rechtsgerichtete Kreise nicht davon ab, Black Lives Matter mit dem Attentäter in Verbindung zu bringen. Der texanische Regionalabgeordnete Bill Zedler etwa warf der Bewegung vor, mit ihrer Rhetorik den Attentäter "eindeutig ermutigt" zu haben. Und der ultrarechte Radiomoderator Rush Limbaugh beschuldigte Black Lives Matter gar, sich zur "Terrorgruppe" zu entwickeln.
Die Bewegung sah sich genötigt, sich deutlich von dem Heckenschützen zu distanzieren. Die Taten eines Einzelnen einer ganzen Bewegung zuzuschreiben, sei "gefährlich und verantwortungslos", kritisierte sie gleichzeitig. Und warnte, manche wollten das Attentat dafür ausnutzen, die Bewegung abzuwürgen.
Black Lives Matter ließ sich denn auch von dem Anschlag nicht davon abhalten, die Proteste fortzusetzen. In mehreren Städten kam es dabei zu Ausschreitungen, mehr als 200 Menschen wurden festgenommen.
Unterdessen fragen sich nicht wenige Polizeibeamte, ob ihr Arbeitsrisiko xponentiell in die Höhe geschossen ist. „Sie werden erschossen, erstochen, geschlagen - Karriere beendende Verletzungen. Niemand redet darüber“, klagt Randy Sutton, Polizist aus Las Vegas im Ruhestand, der an der Spitze der Bewegung „Blue Lives Matter“ (Blaue Leben zählen) steht.
Das „Blue“ im Namen steht für die Polizeiuniform. Der Name sei nicht nur Anspielung, sondern ein bewusster Angriff auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung „Black Lives Matter“, erläutert Sutton der Deutschen Presse-Agentur. Auf Facebook haben die Polizei-Unterstützer rund 900 000 Likes - und damit fast genauso viele, wie es Polizisten in den USA gibt.
Black Lives Matter ist eine lose verbundene Bewegung aus mehreren dutzend Untergruppen. Die Proteste sind nicht straff durchorganisiert, und die Mobilisierung findet großteils über die sozialen Netzwerke statt. Entstanden war die Bewegung vor drei Jahren, nachdem ein Geschworenengericht in Florida den Nachbarschaftswächter George Zimmerman freigesprochen hatte, der einen unbewaffneten jungen Afroamerikaner erschossen hatte.
Die schwarze Aktivistin Alicia Garza schrieb damals: "Wir verdienen es nicht, ungestraft getötet zu werden. Wir müssen (...) für eine Welt kämpfen, in der das Leben von Schwarzen zählt." Ihre Freundin Patrisse Cullors schuf aus diesen Worten im Internetdienst Twitter den sogenannten Hashtag #BlackLivesMatter, der zugleich zum Slogan der neuen Protestbewegung wurde.
Im Jahr darauf breitete sich die Bewegung rasant aus, nachdem in Ferguson im Bundesstaat Missouri der schwarze Teenager Michael Brown von einem weißen Polizisten erschossen worden war. Weitere Fälle von tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze haben Black Lives Matter seither immer wieder landesweit marschieren lassen. Die Amateurvideos, die die Polizeigewalt dokumentieren, werden regelmäßig mit dem Hashtag der Bewegung versehen, was zur rasanten Verbreitung der Bilder beiträgt.
Obwohl die Bewegung keine zentrale Führung hat, hat sie viel politischen Einfluss gewonnen. Seit 2014 wurden in mehr als zwei Dutzend Bundesstaaten Gesetze gegen polizeiliche Übergriffe in Kraft gesetzt, wozu die Sammlung von Daten über Polizeischüsse zählt. Die landesweite Empörung in der vergangenen Woche über den Tod der Afroamerikaner Alton Sterling und Philando Castile durch Polizeikugeln in den Bundesstaaten Louisiana und Minnesota zeigte, welche Breitenwirkung Black Lives Matter inzwischen erreicht hat.
Doch mit dem Anschlag von Dallas wird es für die Bewegung nun wohl wesentlich schwieriger, mit ihren Anliegen durchzudringen. Das Attentat sei "verheerend für unsere Arbeit", zitierte die Zeitung "New York Times" einen bekannten Aktivisten der Bewegung, den Pastor Jedidiah Brown aus Chicago. (AFP/dpa)