Rücktrittserklärung Britischer Parlamentspräsident Bercow lief im Brexit-Marathon zur Höchstform auf

London · Polternd und von seiner historischen Aufgabe durchdrungen - der Präsident des Londoner Unterhauses, John Bercow, gab am Dienstag seinen Rücktritt bekannt. Wegen seines Mitmischens in den Brexit-Debatten warfen ihm seine früheren Kollegen vor, voreingenommen zu sein.

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Seit drei Jahren hat er seine zentrale Rolle in den Brexit-Debatten genossen, doch angesichts der jüngsten Turbulenzen will John Bercow sich verabschieden: Der 56-jährige Präsident des Londoner Unterhauses ist im parlamentarischen Gezerre um den angestrebten Austritt Großbritanniens aus der EU zu seiner Höchstform aufgelaufen. Wieder und wieder mahnte er die Abgeordneten mit seiner bellenden Stimme zur Ordnung.

Dem neuen Premierminister Boris Johnson warf er "Verfassungsfrevel" vor, als dieser dem Parlament eine Zwangspause verordnete. Doch bevor Bercow an diesem Montag seinen Rücktritt ankündigte, war eins erreicht: Das Parlament konnte ein Gesetz verabschieden, das der Regierung im weiteren Brexit-Gerangel enge Vorgaben auferlegt.

Schon am Tag seiner Rücktrittsankündigung lässt Bercow keinen Zweifel daran aufkommen, was er unter seinem politischen Erbe versteht. Er werde "absolut keine Entschuldigung" von sich geben, weil er die Rechte des Parlaments auf Mitsprache beim Brexit verteidigt habe - keine Entschuldigung, "zu niemandem, nirgendwo, zu keiner Zeit". Bercow, der selbst 1997 über ein Ticket der Konservativen ins Parlament gelangte, machte sich in den vergangenen Monaten bei seinen Parteifreunden viele Feinde - und erhielt zunehmend mehr Unterstützung aus den Reihen der Opposition. Nun sagte er, er werde im Falle einer Ablehnung vorgezogener Neuwahlen zurücktreten, auf jeden Fall aber am 31. Oktober.

Seit Bercow vor zehn Jahren das Amt des Speakers antrat, hat er immer mal wieder geltende Regeln über Bord geworfen. Das Tragen der traditionellen Perücken hat er abgeschafft. Im Juni 2017 erlaubte er den Abgeordneten, ohne Krawatten zu erscheinen.

Geboren wurde Bercow am 19. Januar 1963, er wuchs im Norden Londons in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Vater war Taxifahrer. Bercow war als Kind ein kleiner Tennisstar, was seine dauerhafte Liebe zum Sport begründete. An der Universität begann Bercow sich politisch zu engagieren, nach einer Beratertätigkeit im Stadtrat wurde er 1997 Abgeordneter. Zwölf Jahre später wurde er mit 46 Jahren zum jüngsten Parlamentspräsidenten seit hundert Jahren - ein Amt, das eigentlich politische Neutralität verlangt.

Wegen seines Mitmischens in den Brexit-Debatten warfen ihm seine früheren Kollegen immer häufiger vor, voreingenommen sowohl gegen die Regierung als auch gegen den Brexit selbst zu sein. Sein Vorgehen, den Handlungsspielraum der Regierung im Brexit-Ringen zum Vorteil des Parlaments einzuschränken, rief Kritiker auf den Plan. "Der Schiedsrichter in unseren Angelegenheiten ist nicht mehr neutral", kritisierte ein konservativer Parlamentarier. "Wenn wir uns immer nur von Dagewesenem leiten ließen, würde sich in unseren Abläufen niemals etwas ändern", gab Bercow zurück.

Ein anderer Abgeordneter kritisierte Bercow wegen eines in seinem Auto gesichteten Aufklebers mit der Aufschrift "Brexit-Mist". Der 1,68 Meter große Parlamentspräsident, der auch schon als "dummer, scheinheiliger Zwerg" tituliert wurde, erwiderte knapp, das Auto gehöre seiner Frau, die "ein Recht auf eigene Ansichten" habe.

Vor Beginn des jüngsten Brexit-Chaos' hatte Bercow etliche Konservative auch mit seiner eindeutigen Weigerung verärgert, US-Präsident Donald Trump vor dem Parlament sprechen zu lassen.

Bercow will nicht nur als Speaker, sondern auch als Abgeordneter zurücktreten. Traditionell ist für ehemalige Sprecher des Unterhauses ein Sitz im Oberhaus vorgesehen. Im Brexit-Tumult gab es allerdings Gerüchte, die Konservativen könnten Bercow diese Ehre verweigern.

(AFP)