Bürgerrechtler Chen: „Bin glücklich, in den USA zu sein“

New York/Peking (dpa) - Jahrelang wurde er in China eingesperrt, verfolgt und gedemütigt. Als freier Mann traf der chinesische Bürgerrechtler Chen Guangcheng nach wochenlangem Tauziehen in den USA ein.

Der blinde Aktivist, der mit seiner Flucht in die US-Botschaft in Peking die seit Jahren schwerste diplomatische Krise zwischen China und USA ausgelöst hatte, landete auf dem internationalen Flughafen Newark bei New York. „Ich bin glücklich, in Amerika zu sein“, sagte er sichtlich erschöpft, aber strahlend.

Auf Krücken gestützt, den rechten Fuß in Gips, sprach der Mann mit der Sonnenbrille vor einer applaudierenden Menge auf dem Gelände der Universität von New York. „Sieben Jahre lang habe ich keinen Tag des Ausruhens gehabt“, sagte der in Khakihosen und weißem Hemd gekleidete Mann leise. „Ich bin hergekommen, um meinen Körper und meinen Geist etwas zu erholen.“ Er war direkt nach der Landung in einem weißen Minivan zu der Universitäts-Wohnung eines Freundes gefahren worden, in der er, seine Frau und ihre zwei Kinder zunächst leben werden.

Der 40-Jährige, der sich in seiner Heimat für Opfer von Zwangsabtreibungen und anderer Willkür eingesetzt hatte, will in New York ein Jurastudium aufnehmen. In China hatte er sich die Juristerei autodidaktisch mit Hilfe seiner Frau angeeignet. Durch das Studienvisum möchte er sich die Tür offenhalten, eines Tages in seine Heimat zurückzukehren. Doch glauben Freunde in Peking zumindest gegenwärtig nicht, dass ihm die Rückkehr erlaubt wird.

Er sehe seinem neuen Leben mit „gemischten Gefühlen“ entgegen, sagte er einem CNN-Reporter während des Fluges - einem der wenigen, die von US-Diplomaten zu ihm gelassen wurden. Nach der Ankunft in Manhatten dankte Chen Guangcheng den Regierungen der USA und China. Versöhnlich appellierte er an Chinas Führung, „ihren offenen Diskurs“ fortzusetzen, um mehr Vertrauen der Menschen zu ernten.

Nur Stunden vor seiner Ausreise war Chen Guangcheng nach langem Bangen am Samstagmorgen im Hospital in Peking plötzlich aufgefordert worden, seine Sachen zu packen und sich auf den Flug vorzubereiten. Am Flughafen erhielten sie erst ihre Pässe. Seit er die US-Botschaft am 2. Mai verlassen hatte, lebte die Familie weitgehend abgeschirmt in dem Krankenhaus. Er wurde wegen Knochenbrüchen im Fuß behandelt, die er sich bei seiner Flucht aus seinem Heimatdorf zugezogen hatte.

„Nach sieben Jahren Verfolgung und Brutalität ist es heute ein guter Tag für Chen Guangcheng und seine Familie, auch wenn viele Ungewissheiten vor ihnen liegen“, sagte Bob Fu von der in den USA ansässigen Menschenrechtsgruppe ChinaAid, die sich maßgeblich für ihn eingesetzt hatte, der dpa. „Er ist der Mann der Stunde, dieses Jahrzehnts“, sagte der republikanische Abgeordnete Chris Smith aus New Jersey, der ihn zu seiner Wohnung begleitete.

„Wir drücken unseren Dank für die Art und Weise aus, in der wir diese Angelegenheit klären konnten, um Herrn Chens Wunsch zu unterstützen, in den USA zu studieren und sein Ziel zu verfolgen“, teilte das US-Außenministerium in Washington mit. Hingegen meldete die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua die Ausreise nicht einmal, sondern schrieb nur in einem Satz, Chen Guangcheng habe „ein Studium in den USA rechtmäßig über normale Kanäle beantragt“.

Menschenrechtsgruppen begrüßten die Lösung des Falles, wiesen aber auf andere Bürgerrechtler sowie Unterstützer und Verwandte des Aktivisten in China hin, die weiter der Verfolgung ausgesetzt seien. Mehrfach hat Chen Guangcheng die Sorge darüber geäußert, dass seine Angehörigen jetzt Repressalien erleiden müssten.

Vor vier Wochen war er nach 19 Monaten Hausarrest in seinem Heimatdorf Dongshigu in der Provinz Shandong mit Hilfe von Freunden in die US-Vertretung in der Hauptstadt geflüchtet. Nach sechs Tagen verließ er die Botschaft am 2. Mai unter Zusagen, mit seiner Familie vereint zu werden. Aus Angst um seine Sicherheit entschied er sich dann aber doch für die Ausreise, was neue Verhandlungen nötig machte.