Freihandelszone geplant Chaos im britischen Parlament bei neuem Brexit-Plan
London (dpa) - Die angeschlagene britische Premierministerin Theresa May hat mit einem Strategiepapier zum Austritt aus der EU zum Befreiungsschlag ausgeholt.
Der neue Brexit-Minister Dominic Raab stellte die Pläne Londons für die künftigen Beziehungen mit der EU am Donnerstag in einer turbulenten Parlamentssitzung vor. Aus dem In- und Ausland hagelte es Kritik aber auch Wohlwollen. Premierministerin Theresa May verteidigte den neuen Brexit-Kurs in einem Gastbeitrag für die „Sun“ als „richtigen Deal für Großbritannien“.
Die Pläne sehen eine Freihandelszone zwischen der EU und Großbritannien für Waren vor. Das Land will sich auch künftig an europäische Regeln und Produktstandards halten. In Sachen Dienstleistungen, zum Beispiel für Banken und Versicherungen, will London aber eigene Wege gehen und akzeptieren, dass der Zugang zum Binnenmarkt in Zukunft eingeschränkt sein wird. Die unkontrollierte Zuwanderung von EU-Bürgern soll ein Ende haben.
Auch bei Einfuhrzöllen will sich Großbritannien in Zukunft nicht mehr mit der EU abstimmen. Um künftig selbst Zölle festsetzen zu können, will das Land für Importe zwei unterschiedliche Zollsätze an seinen Grenzen kassieren. Einen für Waren, die für den britischen Markt bestimmt sind und einen anderen für Güter, die in die EU gebracht werden. Dem Plan zufolge könnten die Vorschläge im Rahmen eines Assoziierungsabkommens mit der EU umgesetzt werden.
Bei der Vorstellung der Pläne beschwerten sich Oppositionsabgeordnete massiv, weil sie vorab keine Kopien des 100 Seiten starken Weißbuchs erhalten hatten. Die Sitzung musste kurzzeitig unterbrochen werden.
Ob die EU auf die Ideen eingeht, ist indes fraglich. EU-Chefunterhändler Michel Barnier betont stets, die Integrität des Binnenmarks, die den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen Kapital und Arbeitnehmern vorsieht, stehe nicht zur Debatte. Am Donnerstag kündigte er per Twitter an, das Papier werde nun analysiert. Bereits am kommenden Montag sollen die Brexit-Gespräche in Brüssel fortgesetzt werden.
Die Brexit-Steuerungsgruppe des Europäischen Parlaments begrüßte das Weißbuch der britischen Regierung als „Schritt nach vorne“, besonders den Vorschlag eines Assoziierungsabkommens. Die EU-Parlamentarier mahnten aber, es müsse weiterhin eine Notlösung für die Frage vorgelegt werden, wie eine feste Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden kann. Das sei die Voraussetzung dafür, dass ein Austrittsabkommen geschlossen werden könne. Den Vorschlag aus Brüssel, Nordirland könne in einer Zollunion mit der EU bleiben, während der Rest des Landes austritt, lehnt London vehement ab.
Es gab aber auch positive Stimmen. Die neuen Pläne seien, „die bisher realistischste Gesprächsgrundlage, die wir in den beiden letzten Jahren gesehen haben“, erklärte Bankenverband-Geschäftsführer Andreas Krautscheid. Der europapolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Michael Georg Link, sprach von einem „Rendezvous mit der Realität“. Rote Linien seien rosa geworden. Trotzdem könne das nur ein Startpunkt sein. Die vier Freiheiten des Binnenmarkts dürften nicht angetastet werden.
Premierministerin Theresa May hatte den neuen Brexit-Kurs vergangene Woche nach einer Marathon-Sitzung auf dem Landsitz Chequers noch als Erfolg verkauft. Doch die Einigkeit in ihrem Kabinett hielt gerade einmal übers Wochenende an. Raabs Vorgänger im Amt des Brexit-Ministers, David Davis, und auch Außenminister Boris Johnson hatten im Streit darüber am Montag ihr Amt niedergelegt und damit eine Regierungskrise ausgelöst. Sie fürchten, der neue Ansatz könne nur der Auftakt für weitgehende Zugeständnisse in den Austrittsgesprächen sein. Eine konservative Webseite sorgte am Donnerstag mit der Veröffentlichung alternativer Pläne für Wirbel, die angeblich noch unter Federführung von Davis entworfen wurden.
Fraglich ist, wie die offizielle Antwort der EU-Kommission auf die Pläne aussehen wird. EU-Chefunterhändler Michel Barnier twitterte am Donnerstag, man werde das Weißbuch nun „im Lichte der Richtlinien des Europäischen Rats mit den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament“ analysieren. Das Angebot der EU sei ein Freihandelsabkommen „plus eine effektive Zusammenarbeit auf einem breiten Feld von Themen einschließlich einer starken Sicherheitszusammenarbeit“.