Die neue Verfassung spaltet Ägypten
In Kairo lehnt eine Mehrheit den Entwurf der Islamisten ab. In den Provinzen gibt es Zustimmung.
Kairo. In Kairo kamen die Wähler in Scharen, um beim Verfassungsreferendum am Samstag ihre Stimme abzugeben. Die Muslimbruderschaft freute sich über die hohe Beteiligung. Doch erste inoffizielle Ergebnisse von Sonntag zeigen: Die Mehrheit der Menschen hier ist — entgegen dem landesweiten Trend — klar gegen den maßgeblich von Muslimbrüdern und Salafisten erarbeiteten Entwurf, der dem bevölkerungsreichsten arabischen Land einen noch religiöseren Anstrich geben soll. Nach Prognosen bieten mehr als die Hälfte der Wähler dem islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi in der Hauptstadt die Stirn.
Und nicht nur hier: Auch in der Provinz Gharbija, wo die traditionell aufmüpfige Arbeiterstadt Mahalla al-Kubra mit ihrer Textilindustrie liegt, stimmten die Wähler mehrheitlich mit Nein. Auch die christliche Minderheit sieht sich durch den Verfassungsentwurf massiv bedroht.
Die übrigen acht Provinzen hingegen billigten den Entwurf zur ersten Verfassung des Landes seit dem Sturz von Ex-Präsident Husni Mubarak vor fast zwei Jahren mit zum Teil sehr deutlicher Mehrheit. Das Land ist gespalten.
Beim Wahlauftakt hatte Mursi sich wohl eine deutlichere Mehrheit erhofft. Denn die braucht er, um den Machtkampf zwischen ihm und der Opposition zu entscheiden. Doch dieser Wunsch blieb unerfüllt. Nach ersten Prognosen waren in der ersten Runde des Referendums etwa 57 Prozent der Wähler für den Entwurf.
Am kommenden Samstag geht das Referendum in die zweite Runde, die restlichen 17 Provinzen sollen dann nachziehen. 51 Millionen sind stimmberechtigt. Offizielle Ergebnisse gibt es in einer Woche.
Dass das Verfassungsreferendum den Machtkampf um die Zukunft Ägyptens beenden wird, ist unwahrscheinlich. Die Opposition fürchtet, dass künftig das islamische Recht, die Scharia, in alle Lebensbereiche wirkt und die Islamgelehrten zu einer vierten Macht werden. Mehr Scharia und weniger Staat wünschen sich wiederum viele Anhänger Mursis. Der Konflikt könnte daher erneut eskalieren — und die Angst vor einem Bürgerkrieg wachsen lassen.