EU-Urheberrecht EU-Urheberrecht - Die Abwehrschlacht der Internetkonzerne
Düsseldorf · Mit dem geistigen Eigentum Dritter verdienen sie Milliarden. Jetzt haben sie es geschafft, ihre Weigerung, dafür zu zahlen, zum Freiheitskampf zu stilisieren.
Der pubertierende Sohn sitzt am Frühstückstisch und verkündet: „Youtube gibt es bald nicht mehr.“ Woher er das hat? „Von Youtube.“ Solche oder ähnliche Dialoge hat es in den vergangenen Monaten vermutlich zu Tausenden gegeben. Die jugendlichen Nutzer sind verunsichert, die Netzgemeinde ist in Aufruhr: Sie sieht die Netzfreiheit bedroht und damit am Ende auch die Meinungsfreiheit. Diese Gefahr, so die gängige Erzählung, geht von der Urheberrechtsreform der Europäischen Union aus, über die das EU-Parlament an diesem Dienstag endgültig abstimmen soll.
Der Widerstand dagegen durch eine Online-Petition mit mittlerweile mehr als 5,1 Millionen Unterzeichnern sowie durch zahlreiche Demonstrationen erweckt den Anschein eines Freiheitskampfes: für das freie Internet, für die Informationsfreiheit, gegen die Mächtigen mit ihren Zensurinteressen. Auch die Online-Enzyklopädie Wikipedia, obwohl selbst gar nicht von der geplanten Reform betroffen, hat sich in der vergangenen Woche mit einer eintägigen Protestabschaltung in spektakulärer Weise in den Widerstand eingereiht.
Netzaktivisten an der Seite der Digitalkonzerne
Entstanden ist eine merkwürdige Allianz. Denn die meist jungen Netzaktivisten stehen mit ihrem Protest, ob wissentlich oder unwissentlich, unweigerlich auch an der Seite der wirklich Mächtigen in dieser Auseinandersetzung: der internationalen Internet-Konzerne wie Google (der Mutter von Youtube), Facebook oder Amazon.
Bis heute sind diese Unternehmen bei den von ihren Nutzern millionenfach geteilten Inhalten (Texte, Fotos, Videos, Musik) von der Pflicht befreit, die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung im Vorfeld zu überprüfen. Erst bei Hinweisen durch die Rechteinhaber auf Verstöße müssen die Konzerne die Inhalte löschen.
Die neue Urheberrechtsrichtlinie will nun die Verantwortung für illegale Veröffentlichungen in Europa von den Nutzern auf die Plattformen selbst übertragen. Denn sie sind es, die durch Werbung und Datenhandel Milliarden verdienen, aber an der Finanzierung der geteilten Inhalte nicht beteiligt sind. Damit profitieren sie auch von dem millionenfachen Verstoß gegen Urheberrechte durch illegale Downloads.
Symbolbegriff für diesen Systemwechsel ist der Artikel 13, obwohl er in der jetzt vorliegenden Fassung der Richtlinie inzwischen zum Artikel 17 geworden ist. Im Kern wäre beispielsweise die Videoplattform Youtube dafür verantwortlich, nur noch das Hochladen lizensierter (und damit auch vergütungspflichtiger) Videos zuzulassen. Also müsste sie zuvor prüfen, ob eine entsprechende Lizenz vorliegt. Diese Verpflichtung soll aber nur für die großen kommerziellen Konzerne gelten.
Nicht dezidiert gefordert, aber für eine solche Kontrolle geeignet sind Upload-Filter, die jedes Werk vor dem Hochladen mit einer Datenbank abgleichen und so klären, ob es urheberrechtlich geschützt ist und eine Lizenz vorliegt. Kritiker sehen die Gefahr eines Overblockings, weil die Filter gegebenenfalls auch legale Inhalte ausbremsen könnten (Satire, Parodie etc.). Eine Angst, die auch von den Konzernen selbst kräftig genährt wird.
Weiterer Streitpunkt ist der Artikel 11 (inzwischen Artikel 15). Dabei geht es im Wesentlichen darum, ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage, wie es seit 2013 in Deutschland existiert, europaweit festzuschreiben. Ziel ist, dass nicht nicht nur für die Verbreitung kompletter Zeitungsartikel Lizenzgebühren fällig werden, sondern auch für die Verbreitung von Überschriften oder Textzitaten, vor allem in Suchmaschinen.
Verwertungsgesellschaften als denkbare Alternative
Sollte die Richtlinie in Kraft treten, haben die Mitgliedsstaaten noch zwei Jahre Zeit, sie zu konkretisieren und in nationales Recht umzusetzen. Dabei bestünde auch die Möglichkeit, Alternativen zu den umstrittenen Upload-Filtern (die im Übrigen aber schon seit Jahren freiwillig im Einsatz sind) zu etablieren.
Vorbild könnten die Verwertungsgesellschaften sein, die es bereits auf anderen Gebieten gibt – wie die Gema im Musikbereich. Die Gesellschaften vertreten die Interessen der Urheber. Vergleichbares ist auch für das digitale Urheberrecht denkbar. So könnten Rechte bei einem Lizenzsystem angemeldet und die Werke entsprechend gekennzeichnet werden. Beim Hochladen entstünde ein Vergütungsanspruch, der aus einem Topf unter Kontrolle einer Verwertungsgesellschaft beglichen würde. Den Topf müssten Plattformen wie Youtube, Facebook oder Instagram aus einem Teil ihrer Werbeeinnahmen finanzieren.
Bei der Abstimmung im EU-Parlament steht aber nicht nur das Recht von Verlagen, Journalisten, Autoren, Musikern und Künstlern auf dem Spiel, ihr geistiges Eigentum zu schützen und eine Verwertung Dritter entsprechend bezahlt zu bekommen. Die emotional aufgeladene Debatte ist auch exemplarisch für die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, regulierend in die Macht globaler Digitalkonzerne einzugreifen. Denn der in rasanter Geschwindigkeit vom Randthema zur europaweiten Grundsatzfrage aufgestiegene Streit steht auch für die Wirkmacht von Digitalkampagnen und ihren Einfluss auf die parlamentarischen Prozesse.
Der Alarmismus der Proteste könnte den Eindruck erwecken, hier sei mal wieder etwas im stillen EU-Kämmerlein an der Bevölkerung vorbei vorbereitet worden. Das Gegenteil ist der Fall: Seit 2016 wird auf europäischer Ebene offen über die Urheberrechtsrichtlinie diskutiert. Im Juli 2018 lehnte das EU-Parlament einen ersten Kompromissvorschlag ab. Der Entwurf wurde überarbeitet und fand zwei Monate später eine große Mehrheit.
Im Anschluss wurde dann bis zum Februar dieses Jahres im sogenannten Trilog zwischen Rat, Kommission und Parlament die jetzt vorliegende Fassung ausgehandelt. Würde sie bei der abschließenden Abstimmung im Parlament scheitern, bliebe nicht nur das längst überfällige neue europäische Urheberrecht für vermutlich lange Zeit auf der Strecke. Zu fragen wäre dann auch, wie anfällig der Parlamentarismus grundsätzlich für emotionalisierte digitale Kampagnen geworden ist.
Für alle, die noch die Vorstellung haben, die Macht der internationalen Internetkonzerne politisch kontrollieren zu können, wäre die Antwort vermutlich ernüchternd.