Gaddafis Außenminister desertiert

London/Tripolis/Kairo (dpa) - Die Truppen kämpfen noch, doch die politischen Gefolgsleute lassen ihn im Stich - die Machtbasis von Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi löst sich auf. Großbritannien wertet die Flucht von Außenminister Mussa Kussa nach London als Zeichen für den Regimezusammenbruch.

Die Rebellen beklagten fehlende Luftunterstützung durch die nun von der Nato geführten Allianz. Angeblich verstärkten Washington und London in Libyen ihre Geheimdienstaktivitäten. Außenminister Guido Westerwelle sprach sich strikt gegen Waffenlieferungen an die Aufständischen im Osten aus.

Nach der spektakulären Flucht des libyschen Außenministers Kussa erhofft sich der britische Geheimdienst wichtige Erkenntnisse über den Machtapparat von Staatschef Muammar Al-Gaddafi. Unklar war zunächst, ob der frühere Geheimdienstchef für Straftaten des Regimes zur Verantwortung gezogen werden kann. Er genieße keine Immunität vor Strafverfolgung, stellte Außenminister Williaem Hague am Donnerstag in London klar.

Hague forderte weitere Getreue Gaddafis auf, diesem den Rücken zu kehren. Arabische Medien berichteten am Donnerstag, auch Geheimdienstchef Abu Zeid Omar Durda habe sich nach Tunesien abgesetzt. Offiziell gab es dafür jedoch zunächst keine Bestätigung. Zuvor hatten bereits der Innen- und der Justizminister dem Staatschef die Gefolgschaft aufgekündigt.

Die libyschen Aufständischen scheiterten am Donnerstag mit dem Versuch, die Küstenstadt Brega wieder einzunehmen, aus der sie am Vortag von den Regimetruppen vertrieben worden waren. Der Vorstoß mit mehreren Dutzend Fahrzeugen geriet in heftiges Artilleriefeuer der Gaddafi-Verbände und musste abgebrochen werden, berichtete ein BBC-Reporter aus dem Kampfgebiet. Die Milizen der Regimegegner stünden nun unverändert etwa zehn Kilometer westlich der Stadt Adschdabija, sagte der Reporter. Der Ort liegt etwa 200 Kilometer von der ostlibyschen Rebellenhochburg Bengasi entfernt.

Wie schon in den letzten Tagen erwiesen sich die Trupps der Aufständischen den regimetreuen Verbänden an Bewaffnung und militärischem Organisationsgrad als unterlegen. Die Milizen der Regimegegner waren am letzten Wochenende bis vor Sirte, 400 Kilometer westlich von Adschdabija, vorgedrungen, nachdem die westliche Militärallianz den Gaddafi-Truppen mit Luftangriffen schwer zugesetzt hatte. Seitdem aber das ausländische Bündnis die Attacken in dieser Region reduziert hat, befinden sich die Rebellen auf dem Rückzug. Sie sind militärisch schlecht ausgerüstet und verfügen nicht über ausreichend Kommunikationsmittel wie Funkgeräte.

Nach einem Zeitungsbericht aus Washington erhalten Gaddafis Gegner vom US-Geheimdienst CIA Unterstützung, der schon seit Wochen mit verdeckten Aktionen in Libyen präsent sein soll. Die Spione kundschafteten dabei mögliche Ziele für Luftschläge aus und versuchten überdies, Kontakte zu den Aufständischen zu knüpfen, berichtete die „New York Times“ am Mittwoch (Ortszeit) online unter Berufung auf amerikanische Regierungsbeamte. Das Weiße Haus lehnte es ab, sich zu Geheimdienst-Missionen zu äußern.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach sich in China gegen Waffenlieferungen an die libyschen Rebellen aus. Die beiden jüngsten Libyen-Resolutionen der Vereinten Nationen erlaubten zwar Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung und enthielten auch ein umfassendes Waffenembargo gegen das Gaddafi-Regime. Aber: „Die Völkergemeinschaft ist sich einig, dass eine dauerhafte Lösung nur politisch, nicht militärisch erfolgen kann“, sagte Westerwelle in Peking.

Kussa befinde sich an einem „sicheren Ort“, sagte ein Sprecher des britischen Premierministers David Cameron. Er stehe aber nicht unter Arrest. Derzeit gebe es keine Hinweise darauf, dass er sich um Asyl beworben habe. Kussa hatte nach Absprache mit London sein Land über Tunesien verlassen. Er habe bei Telefonaten mit Kussa in den vergangenen Tagen „zwischen den Zeilen“ herausgehört, dass der Libyer sehr „erschüttert“ über die Ereignisse in seinem Land gewesen sei, sagte Hague.

Vor allem die Hinterbliebenen der Opfer des Terroranschlages von Lockerbie fragen nun, wie sich die Regierung die Zukunft Kussas vorstellt. Sie wollen wissen, ob er auf freiem Fuß ist und bleiben wird, oder ob ihm Strafverfolgung droht. Kussa war in der Vergangenheit wiederholt mit dem Attentat in Verbindung gebracht worden. Wer genau hinter dem Anschlag mit 270 Toten auf ein Flugzeug über dem schottischen Ort Lockerbie steht, ist auch mehr als 20 Jahre danach nicht vollständig geklärt. Immer wieder kommen Vermutungen auf, Gaddafi selber habe den Befehl gegeben.