Kölner Spendenkonvoi in Bosnien Gefährliches Spiel an der EU-Außengrenze

Köln · Sie nennen es selber „Game“: Die Flüchtlinge, die von Bosnien aus immer wieder versuchen, nach Kroatien und in die EU zu gelangen. Jenseits der offiziellen Lager gibt es kaum Hilfsangebote.

Squats heißen die leer stehenden und oft zerfallenen Gebäude, die von den Flüchtlingen genutzt werden. Diese alte Lagerhalle in Velika Kladuša bietet etwa 50 Menschen Unterkunft.

Foto: Giorgio Morra

Wer weiß, was in ein paar Jahren aus dem Kölner Spendenkonvoi geworden ist. Vielleicht gar nichts – versandet und vergessen wie unzählige andere private Hilfsinitiativen. Vielleicht hat sich die Unterstützung für die Flüchtlinge verstetigt, die im Nordwesten Bosniens an der EU-Außengrenze ausharren. Womöglich hat sie sich sogar in heute noch unvorstellbarem Maße vergrößert. Wie und warum sich Hilfsbereitschaft entwickelt, ist manchmal schwer kalkulierbar. Jonathan Sieger hat das schon zweimal erlebt.

„Wie die Jungfrau zum Kinde“ sei er selbst dazu gekommen, sich im Dezember 2018 erstmals auf den Weg nach Bosnien zu machen. Ein Engländer, den Sieger zwei Jahre zuvor im Flüchtlingslager Idomeni kennengelernt hatte, bat öffentlich um Hilfe bei seinem jetzigen Einsatz im offiziellen Flüchtlingscamp von Sarajevo. Sieger, hauptberuflich Geschäftsführer der Kölner Grünen, fand noch zwei Freunde, die für eine Alternative zum Weihnachtsfest daheim zu haben waren. Ein zaghafter Aufruf, vielleicht noch etwas Winterkleidung zu spenden, traf auf „extrem große Hilfsbereitschaft“. Schließlich machte sich das Trio mit einem vollgeladenen VW-Bus und 2000 Euro einer Berliner Hilfsorganisation auf den Weg.

Entweder offizielle Lager – oder die Obdachlosigkeit

Schon damals fiel den Helfern die gespaltene Flüchtlingshilfe in Bosnien auf: einerseits die offiziellen Lager der UN-Unterorganisation IOM (Internationale Organisation für Migration), andererseits die Menschen, die dort nicht mehr unterkommen, weil die Kapazitäten erschöpft sind oder sie die Registrierung scheuen. Von den insgesamt rund 10 000 Migranten im Land machen sie etwa die Hälfte aus. Sie sind obdachlos, leben meist ohne jegliche Unterstützung und Versorgung in verfallenen Gebäuden oder im Wald nahe der kroatischen Grenze – und versuchen wieder und wieder das „Game“ (Spiel), wie sie selbst es nennen.

Das Spiel, es meint den mühsamen illegalen Grenzübertritt über die Berge nach Kroatien und damit in die EU. Und es meint die durch zahlreiche Berichte belegte Erfahrung, dass viele von ihnen dabei jenseits der Grenze von der kroatischen Polizei aufgegriffen und ihrerseits illegal wieder nach Bosnien zurückgebracht werden, ohne Überprüfung, ob sie asyl- oder aufenthaltsberechtigt wären. Es gibt Aussagen über Misshandlungen. Teilweise werde den Flüchtlingen ihre Ausrüstungen, mitunter sogar ihre Schuhe abgenommen. „Eine Nichtregierungsorganisation bemüht sich vor Ort, die Verletzungen durch die kroatische Polizei zu dokumentieren“, sagt Beatrice Haller (29).

Um Auseinandersetzungen bei der Ausgabe zu vermeiden, nehmen die Helfer aus Köln erst Bestellungen auf und packen dann personenbezogene Pakete mit Hilfsgütern.

Foto: Giorio Morra/Giorgio Morra

Die Umweltwissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat die beiden bisherigen Fahrten des Kölner Spendenkonvois begleitet. Ende August 2019 hatten Sieger (31), der Fotograf Giorgio Morra (31) und der Medienwissenschaftler Lukas Rick (33) entschieden, angesichts der Meldungen über die dramatische Lage im provisorischen Flüchtlingslager Vucjak auf einer ehemaligen Müllkippe bei Bihac erneut nach Bosnien zu fahren.

Diesmal machten sie vorher eine gezieltere Öffentlichkeitsarbeit, es gab Unterstützung durch Amnesty International und einen Benefizabend im Kölner „Theater im Bauturm“. Und wieder wurden alle Erwartungen übertroffen: Am Ende kamen viermal so viele Hilfsgüter zusammen wie im Jahr zuvor. Dazu wurden 11 000 Euro gespendet. Einen Tag nach Weihnachten brach der Konvoi auf, diesmal begleitet von acht Personen.

Privathelfer sind in Bosnien nicht willkommen. Es herrscht die Ansicht vor, zu viel Hilfe könne noch mehr Flüchtlinge ins Land holen oder die vorhandenen zum Bleiben bewegen. „Seit den Berichten über Vucjak gilt die Erzählung: Die Bosnier behandeln die Flüchtlinge schlecht“, sagt Sieger. „Aber die andere Seite hat sich bei unserer Fahrt auch gezeigt.“ Die Grenzpolizisten, die den Konvoi nach einigen Diskussionen durchgewunken haben, obwohl Hilfslieferungen, die keiner der bekannten Organisationen zuzuordnen sind, häufig abgewiesen werden. Oder die Begegnung mit vier Polizisten, an die sich Lukas Rick erinnert.

„Wir haben mit ihnen diskutiert, was das moralisch Richtige ist“, erzählt er. Das Argument der Polizisten: „Ihr arbeitet gegen Bosnien, Deutschland und die EU.“ „Aber unser Argument, dass es Aufgabe ist zu helfen, wenn Menschen in den Bergen erfrieren und nichts zu essen haben, das haben sie gelten lassen.“ Trotzdem, auch die Teilnehmer des Spendenkonvois haben sich und ihr Handeln immer wieder hinterfragt. Was hilft der Tropfen auf den heißen Stein, was hilft es, wenn es einigen Menschen für wenige Tage etwas besser geht, sie eine warme Mahlzeit oder wintertauglichere Kleidung bekommen?

Ruinen voller Müllhalden, ohne Strom und ohne Fenster

Erst machten die Kölner im grenznahen Dorf Velika Kladuša Station, später in Bihać. Feste Ansprechpartner gab es nicht, die Arbeit für Flüchtlinge außerhalb der Lager wird kriminalisiert. Die Squats, wie die verfallenen und leer stehenden Gebäude genannt werden, in denen die Menschen aus Afrika und Asien Unterschlupf finden, sind meist Ruinen voller Müll und Exkremente, ohne Strom, ohne Fenster. Es war ein Lernprozess zu erkennen, dass die unkontrollierte Ausgabe von Hilfsgütern dort schnell zu Gerangel führen kann.

Also versuchte die Gruppe zunächst, Beziehungen aufzubauen und Vertrauen zu gewinnen. Dann wurden in den Unterkünften gezielt Bestellungen mit Namenslisten aufgenommen und die entsprechend abgepackten Hilfsgüter erst später ausgeliefert.

Rund 30 Jugendliche verbringen an der kroatischen Grenze bei Bihac die Nacht in einem Squat – und machen offenes Feuer unter einem hölzernen Dachstuhl.

Foto: Giorio Morra/Giorgio Morra

In Bihac arbeiteten die Helfer dabei mit Dirk Planert zusammen, versorgten Menschen in den Bergen mit dem Nötigsten. Der Dortmunder Journalist galt bei den Einheimischen lange als Held, weil er 1994 während der serbischen Belagerung Hilfsgüter in die eingeschlossene Stadt schleuste. Heute ist er vielen verhasst, weil er inzwischen mit der gleichen Kompromisslosigkeit für die ungeliebten Flüchtlinge eintritt. Maßgeblich seiner Initiative ist es zu verdanken, dass das umstrittene Lager Vucjak Anfang Dezember wieder aufgelöst und die Bewohner nach Sarajevo verlegt wurden.

Inzwischen ist die Kölner Gruppe wieder zurückgekehrt – und hat die Erkenntnis mitgenommen: „Wenn wir weiterhelfen wollen, müssen wir uns auf die Privatpersonen und die lokalen Initiativen konzentrieren“, sagt Lukas Rick. Auf die wenigen, die sich von dem Druck der Regierung, den Anfeindungen und der Kriminalisierung nicht abschrecken lassen und trotz der schwierigen Lage für die Bosnier selbst auch bereit sind, den Flüchtlingen zu helfen: der Kriegsveteran, die Lehrerin, die kleine Organisation „No Name Kitchen“, die auch Menschen außerhalb der Lager mit Kleidung und Nahrungsmitteln unterstützt.

Wie soll es weitergehen mit der Hilfe?

In einem Rechenschaftsbericht auf der eigenen Internetseite will der Spendenkonvoi offenlegen, wo das Geld und die Sachspenden geblieben sind. Und die Helfer machen sich derweil Gedanken, wie es weitergehen soll: „Wollen wir die Flexibilität einer Privatinitiative behalten oder brauchen wir die Struktur eines Vereins, um zum Beispiel auch Spendenquittungen ausstellen zu können?“, beschreibt Beatrice Haller die Fragestellung. Bisher funktionierte alles auf Vertrauensbasis: zwischen Spendern und Helfern sowie zwischen Helfern und den Initiativen vor Ort, von denen sie sich zuvor selbst ein Bild gemacht hatten. Wenn der Kölner Spendenkonvoi weiter wächst, wird das irgendwann so nicht mehr funktionieren.

Nur eines scheint sicher: Der Anlass für die Hilfsaktion wird so schnell nicht verschwinden. Die Balkanroute ist weiter einer der bevorzugten Wege in die EU. Und der Versuch, ihre Außengrenze zu überqueren, bleibt ein gefährliches Spiel.